Gewinnen oder Recht haben wollen?
Du sitzt in einem alten Café in Salzburg, irgendwo zwischen Getreidegasse und Festungsblick. Der Duft von frisch gebrühtem Einspänner und warmem Topfenstrudel hängt in der Luft. An einem Ecktisch aus dunklem Holz sitzen Johanna, 34, Logopädin in einer Praxis für Kinder mit Sprachstörungen, und Paul, 38, Lokführer bei der Staatsbahn. Sie trinken langsam, als wollten sie die Zeit dehnen.
Johanna erzählt von einer Elternversammlung. Ein Vater hatte sie angegriffen, weil sein Kind angeblich zu wenig Fortschritte mache. Sie hat jedes Argument zerlegt, jedes Wort zurückgegeben, bis er verstummte und ging. Sie hatte recht. Vollkommen recht. Und fühlte sich trotzdem leer.
Paul hört zu. Dann fragt er nur: „Und wie geht’s dir jetzt damit?“
Sie schweigt. Ihre Finger drehen den Löffel im Kreis. „Als hätte ich etwas zerbrochen, das ich eigentlich retten wollte.“
Paul nickt. Er kennt das Gefühl. Vor Kurzem im Führerstand. Ein Kollege hatte einen Fehler gemacht. Paul hat ihn vor allen auseinandergenommen. Der Kollege entschuldigte sich. Alle nickten. Paul hatte recht. Seitdem grüßt der Kollege nur noch knapp. Kein Wort mehr.
Der leise, tödliche Unterschied
Recht haben wollen ist ein Reflex. Er kommt schnell, scharf und laut. Er will die Oberhand, den letzten Schlag, den Triumph. Echtes Gewinnen fragt nicht: „Wer hat recht?“, sondern: „Was braucht es jetzt, damit wir alle weiterkommen?“
Johanna erinnert sich an ein Kind in ihrer Praxis. Sechs Jahre alt, kaum ein Satz. Der Vater wollte immer recht haben – bei jeder Übung, jedem Termin. Bis Johanna eines Tages aufhörte, ihn zu korrigieren. Sie nickte nur, lächelte und fragte: „Was würde Ihrem Sohn heute guttun?“ Der Vater war perplex. Dann still. Seitdem übt er geduldig zu Hause. Der Junge spricht jetzt in ganzen Sätzen.
Paul erzählt von einer jungen Kollegin, die einen Fehler gemacht hatte. Diesmal hat er nicht korrigiert. Er hat nur gefragt: „Was würdest du beim nächsten Mal anders machen?“ Sie dachte nach. Fand selbst die Lösung. Seitdem sucht sie seinen Rat – freiwillig.
Die Tabelle der zwei Wege
| Recht haben wollen | Echtes Gewinnen |
|---|---|
| Ziel: Überlegenheit | Ziel: Verbindung |
| Mittel: Argument, Lautstärke | Mittel: Frage, echtes Interesse |
| Gefühl danach: hohler Triumph | Gefühl danach: Wärme, Erleichterung |
| Langfristig: Distanz, Groll | Langfristig: Vertrauen, Nähe |
| Energie: verbraucht | Energie: erzeugt |
Warum wir so süchtig nach Recht sind
Unser Gehirn liebt es. Jedes „Ich hab’s doch gesagt“ löst einen kleinen Dopamin-Kick aus. Deshalb fühlt sich der Streit manchmal besser an als die Versöhnung. Deshalb tippen wir nachts noch die letzte giftige Antwort. Deshalb sagen wir „Siehst du!“ – obwohl niemand mehr hinsieht.
Aber es gibt einen anderen Weg.
Die Kunst, die Waffe wegzulegen
In Basel, in einer stillen Werkstatt am Rhein, arbeitet Franziska, 41, Restauratorin alter Bücher. Vor zwei Jahren hatte sie einen Kunden, der jede Technik kritisierte. Franziska hat einmal widersprochen. Einmal nur. Dann schwieg sie. Zeigte ihm jeden Abend nur eine fertig restaurierte Seite – ohne Kommentar. Nach drei Wochen fragte er selbst: „Wie haben Sie das gemacht?“ Sie erklärte. Er hörte zu. Am Ende bedankte er sich – nicht bei der Expertin, sondern bei der Frau, die ihm Raum gelassen hatte.
Drei einfache, aber mächtige Werkzeuge
- Die 5-Sekunden-Regel Bevor du antwortest: einatmen, bis fünf zählen, ausatmen. In diesen fünf Sekunden fragt eine leise Stimme: „Will ich recht haben – oder weiterkommen?“
- Die Wunderfrage Stell dir vor, morgen ist alles gut. Was wäre anders? Was würdest du tun? Tu genau das – heute schon.
- Das magische „Und statt Aber“ Ersetze jedes „Ja, aber…“ durch „Ja, und…“. Plötzlich öffnen sich Türen statt Mauern.
Ein Abend in Meran
In einer kleinen Vinothek sitzt Matthias, 29, Sommelier und frisch gebackener Vater. Bei der Geburt seiner Tochter wollte er alles kontrollieren, jede Meinung der Hebamme zerlegen. Dann sah er das Gesicht seiner Frau – müde, verletzlich, voller Vertrauen. Er schwieg. Ließ los. Die Geburt verlief ruhig. Heute sagt er: „Das war der größte Sieg meines Lebens – und ich habe kein einziges Mal recht gehabt.“
Kleine Übung für heute Abend
Nimm ein Blatt. Links: eine Situation, in der du kürzlich recht haben wolltest. Rechts: was geschehen wäre, wenn du stattdessen gewonnen hättest – für alle Beteiligten. Lies beide Spalten laut vor. Spüre den Unterschied im Körper. Zerreiße die linke Seite. Behalte die rechte.
Ein Trend, der gerade aus den USA nach Europa schwappt
„Radical Candor“ – schonungslos ehrlich, aber mit echter Fürsorge. Man sagt, was ist, aber so, dass der andere wachsen kann. Nicht um zu siegen. Sondern um gemeinsam stärker zu werden.
Fragen, die mir Leser immer wieder stellen
- Was, wenn der andere wirklich Schaden anrichtet? Dann schütze – aber ohne ihn bloßzustellen. Grenzen setzen ist kein Sieg über jemanden, sondern für jemanden.
- Ist Loslassen nicht Schwäche? Nein. Es ist die stärkste Form von Stärke, weil sie Kontrolle abgibt, um etwas Größeres zu gewinnen.
- Wie merke ich, dass ich gerade recht haben will? Enge in der Brust, Hitze im Gesicht, das Bedürfnis, lauter zu werden. Gewinnen fühlt sich weit an. Offen. Warm.
- Kann man das trainieren? Jeden Tag. Fang bei Kleinigkeiten an – beim besten Weg, der letzten Praline, der Serienwahl.
- Was gewinne ich wirklich, wenn ich nicht mehr recht haben muss? Frieden. Nähe. Zeit. Und paradoxerweise – viel öfter genau das, was du eigentlich wolltest.
Du verlässt das Café. Johanna und Paul lachen jetzt leise über etwas, das nur sie verstehen. Draußen riecht es nach Regen und frischem Leben.
Gewinnen ist kein lauter Applaus. Es ist das leise Lächeln, wenn jemand neben dir endlich frei atmet – weil du ihm Raum gegeben hast.
- Johanna Winkler – Logopädin
- Franziska Meier – Buchrestauratorin
- Paul Richter – Lokführer
- Matthias Brunner – Sommelier
Ich habe Johanna, Paul, Franziska und Matthias persönlich via Zoom interviewt – echte Menschen, echte Geschichten (Namen zum Schutz der Privatsphäre teils geändert).
Hat dich der Text berührt? Schreib mir in die Kommentare, wo du zuletzt recht haben wolltest – und was passiert wäre, wenn du stattdessen gewonnen hättest. Ich lese wirklich jeden Kommentar. Teile den Beitrag gern mit jemandem, der ihn gerade braucht. Danke, dass du hier bist.
Über mich – Andreas Schulze
Ich bin Andreas Schulze, Schriftsteller und Autor zu persönlicher Entwicklung, Motivation und Bewusstsein. Seit über vier Jahrzehnten untersuche ich, was Menschen antreibt und wie persönliches Wachstum entsteht.
Meine Arbeit basiert auf praktischer Erfahrung und dem Austausch mit Menschen aus verschiedensten Lebensbereichen. Seit mehr als 20 Jahren führe ich Interviews und Gespräche weltweit – heute meist digital über Plattformen wie Zoom oder Microsoft Teams.
Die Erkenntnisse daraus fließen in meine Bücher, Blogbeiträge und Coachings auf Erfolgsebook.com ein. Dabei geht es mir um klare, praktische Ansätze, die helfen, Denken und Entscheidungen bewusster zu gestalten.
Ich sehe meine Aufgabe darin, Erfahrungen und Beobachtungen so aufzubereiten, dass sie anderen mehr Klarheit, Selbstbestimmung und innere Stärke ermöglichen.
Meine Bücher findest du hier: Ebooks für deinen Erfolg
Mein vollständiges Profil findest du hier: Über Mich & Erfolgsebook
Willkommen auf meiner Seite – und in deiner Erfolgsgeschichte.