Wieso du immer alles besser weißt
Du wachst auf, starrst an die Decke und merkst, dass der Tag wieder genau das Gleiche ist – eine Aneinanderreihung von Momenten, in denen du Recht hast und alle anderen nicht. Deine Füße, die sich in deinen abgewetzten Hausschuhen mit fragwürdiger Polsterung befinden, tragen dich wie ein philosophischer Denker ins Badezimmer. Der Spiegel zeigt dir ein Gesicht, das überraschend wach wirkt, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass du über Nacht beschlossen hast, dass du es bist – der Allwissende.
Dein großer Plan? Natürlich zu brillieren.
Deine Jeans sitzen perfekt – nicht, weil sie es tun, sondern weil du davon überzeugt bist. Selbst der leichte Knitter im Shirt sieht aus wie ein bewusster Stilbruch. Warum? Weil du es einfach kannst. Deine Mission für den Tag: Den anderen klarzumachen, dass du in allen Belangen der ultimative Experte bist – vom Kaffeemahlen bis zur globalen Klimapolitik. Aber halt! Zuerst brauchst du einen Kaffee.
Die Küche empfängt dich mit einem Hauch von gestern: Die Spülmaschine piept verzweifelt, der Boden ist klebrig von einem missglückten Saftunfall, und doch bist du der Held der Szene. Mit einem geübten Handgriff schnappst du dir die Kaffeemaschine, die aussieht, als hätte sie bereits drei Leben hinter sich, und zauberst einen Espresso, der selbst in Italien neidische Blicke ernten würde. Zumindest denkst du das.
Die Straße? Dein Laufsteg der Unfehlbarkeit.
Als du das Haus verlässt, fühlst du dich wie ein wandelndes Lexikon. Die Nachbarn? Alle irgendwie nett, aber ganz sicher nicht auf deinem intellektuellen Level. Frau Müller von nebenan grüßt freundlich – du nickst zurück, weil du heute großzügig bist. Mit deinem Smartphone in der Hand und einer Aura, die signalisiert, dass du jederzeit eine Weltkonferenz leiten könntest, schreitest du die Straße entlang. Die Welt wartet schließlich auf dein nächstes großes Statement.
Dein Arbeitsplatz: Ein Schlachtfeld der Irrtümer.
Im Büro angekommen, stellt sich sofort heraus, dass deine Kollegin Sandra wieder irgendetwas „falsch“ gemacht hat. Excel-Tabellen? Ein Buch mit sieben Siegeln für alle – außer für dich natürlich. Mit einem müdem Lächeln übernimmst du die Kontrolle, während Sandra irritiert zusieht. „Kein Problem, das war doch offensichtlich,“ wirfst du ein, während du Zahlen jonglierst wie ein Zirkusakrobat. Tief in dir drin weißt du, dass niemand deine Genialität wirklich versteht, aber das ist auch okay. Große Geister wie du sind eben immer ihrer Zeit voraus.
Die Mittagspause: Deine Zeit zu glänzen.
In der Kantine wird diskutiert. Irgendwer redet über ein neues Streaming-Format, das angeblich revolutionär ist. Dein Einsatz! Du erklärst mit einer Mischung aus Belustigung und Überlegenheit, warum das Konzept von Streaming eigentlich schon vor zwanzig Jahren existierte. Dein Gegenüber runzelt die Stirn, aber du weißt, dass er innerlich beeindruckt ist – oder verwirrt. Beides ist für dich ein Sieg.
Zurück zu Hause: Dein Reich.
Am Abend sitzt du auf deiner Couch, die zwar alt, aber charmant ist – zumindest für dich. Dein Laptop ist offen, die Finger fliegen über die Tasten. Du bist online unterwegs, der allwissende Kommentator in diversen Foren und sozialen Medien. Ob es um die neuesten politischen Entwicklungen geht oder die Frage, ob Ananas auf Pizza gehört – du hast eine Meinung. Und die ist übb\u00erragend. Deine Beiträge? Pures Gold. Die Likes? Mäßig, aber das liegt sicher an den anderen.
Die Wahrheit – oder doch nicht?
Am Ende des Tages fragst du dich, ob das alles wirklich so wichtig ist. Vielleicht könntest du auch einfach mal zuhören, statt immer zu reden. Aber dann schüttelst du den Kopf. Nein, die Welt braucht Menschen wie dich. Oder etwa nicht?