Sei pünktlich, sonst bist du spät

Lesedauer 3 Minuten
Sei pünktlich, sonst bist du spät

Du stehst da. Vor der Tür eines hippen Coworking-Cafés, das so überkandidelt ist, dass es nicht mal eine Tür hat – nur so eine freche Plexiglasscheibe, auf der „Bitte treten Sie ein und kaufen Sie keinen Filterkaffee“ steht. Du trägst dein gewohntes „Ich habe es eilig, aber nicht zu sehr“-Outfit: Sneakers, die genau so teuer aussehen, wie sie waren, und einen Mantel, der so lässig ist, dass er wahrscheinlich selbst denkt, er sei zu cool für dich.

Doch heute bist du anders. Pünktlich. Fast schon unheimlich pünktlich. Du bist so pünktlich, dass du zehn Minuten vor der Zeit da bist. Zehn Minuten! Das ist praktisch eine Stunde in Großstadtzeit, und du weißt genau, dass diese zehn Minuten ein Statement sind. Aber niemand bemerkt es. Noch nicht.

Im Inneren des Cafés tummeln sich Menschen, die aussehen, als wären sie frisch aus einem Instagram-Filter gepurzelt. Eine Frau mit einem Laptop, der dünner ist als ihr Geduldsfaden, tippt hektisch. Ihr Gesicht? Perfektes Pokerface mit einem Hauch Verzweiflung. Am Nebentisch sitzt ein Typ, der aussieht, als hätte er gerade einen TED-Talk über Minimalismus gehalten – schwarzer Rollkragenpullover, schlichte Brille, aber Kopfhörer, die vermutlich mehr kosten als deine Monatsmiete.

Und da bist du. Der/die pünktliche Held:in, die von niemandem gefeiert wird. Noch nicht.

Die Macht des Unauffälligen

Es beginnt harmlos. Der Erste kommt fünf Minuten zu spät, murmelt ein halbherziges „Sorry“. Du nickst überlegen, trinkst einen Schluck von deinem perfekt temperierten Flat White und tust so, als würdest du nicht darauf warten, dass alle deinen Einsatz bemerken.

Der Zweite platzt rein, acht Minuten zu spät, verschwitzt und entschuldigend, als hätte er gerade einen Marathon gelaufen. Er scannt den Raum und trifft deinen Blick. Ah, da ist es. Der Moment. Die Erkenntnis: „Du bist schon hier?!“

Du nickst erneut. Dieses Mal langsamer, bedeutungsschwer.

Die Bühne gehört dir

Pünktlich zu sein, ist nicht nur eine Tugend, es ist eine Kunstform. Und du bist gerade Michelangelo mit einer Armbanduhr. Dein pünktliches Erscheinen ist eine stille Rebellion gegen das „Ich-bin-so-beschäftigt-und-wichtig“-Getue, das die meisten Menschen rechtfertigt, wenn sie zu spät kommen.

Aber Moment, das reicht dir nicht. Warum nur pünktlich sein, wenn du auch inszenieren kannst, wie pünktlich du bist? Du lehnst dich zurück, öffnest demonstrativ dein Notizbuch – ja, das analoge, weil niemand mehr Notizbücher benutzt – und beginnst, bedeutungsvoll Notizen zu machen. Über was? Egal. Vielleicht die Namen deiner zukünftigen Feinde.

Der Überraschungseffekt

Es passiert schleichend. Während die Nachzügler ihre Erklärungen auspacken wie schlechte Ausreden bei einer Zollkontrolle, machst du keinen Laut. Du schaust nicht einmal hoch. Deine Pünktlichkeit spricht für sich. Es ist keine Aggression, kein Vorwurf – es ist pure, kalte Effizienz.

Und dann – oh, der Moment ist süß – fragt jemand: „Wie machst du das eigentlich immer? Immer pünktlich sein?“

Du atmest tief ein, lächelst geheimnisvoll und sagst: „Es ist ein Trick.“

Die Runde ist fasziniert. Ein Trick? Was für ein Trick? Ist es eine App? Meditierst du um 5 Uhr morgens? Hast du dir etwa diesen einen TED-Talk angesehen, der viral ging?

Nein. Dein Trick ist simpler. Du lügst. „Ich plane immer zehn Minuten ein, die ich nicht brauche“, sagst du und genießt die Ehrfurcht in den Augen der Anwesenden. Niemand muss wissen, dass du einfach nur gern vor Ort bist, um den besten Platz zu sichern.

Und die Moral von der Geschicht’?

Die Welt ist ein Chaos. Menschen kommen zu spät, weil der Verkehr schlecht war, der Hund krank oder Netflix zu gut. Aber du? Du bist die Konstante in einem Ozean aus Verspätungen. Du bist der Fels, an dem die Wellen der Unpünktlichkeit brechen.

Aber sei gewarnt: Zu oft pünktlich zu sein, könnte dazu führen, dass die Leute dich für zuverlässig halten. Und das, mein Freund, ist ein Slippery Slope.

„Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.“ – Hat irgendein Typ mal gesagt, der definitiv nicht an einem Montagmorgen aufgestanden ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert