Kind im Anzug: Dein Chef!?
Du sitzt am Konferenztisch, umgeben von vertrauten Gesichtern, die ihre Jahre wie Ehrenmedaillen tragen. Deine Kollegen, alle jenseits der sechzig, haben Gesichter, die Geschichten erzählen: Lachfalten, die von unzähligen Pausen-Kaffees sprechen, und Stirnrunzeln, die von Jahrzehnten des Kopfzerbrechens über Firmenprobleme zeugen. Die Luft riecht nach Männerparfum und alten Ledermappen, die das Büroflair der 80er-Jahre wieder aufleben lassen. Aber heute gibt es eine neue Note: Hafermilch-Latte. Willkommen in der Zukunft. Oder im Chaos?
Da steht er. Dein neuer Abteilungsleiter. Er ist jung – nein, sehr jung. Ein Kind im Anzug. Zumindest versucht er, einen zu tragen. Das Sakko spannt an den Schultern, die Hose sitzt wie geliehen, und die roten Socken à la Pumuckl blitzen zwischen den Hochwasserhosen und den teuren, aber völlig deplatzierten Lederschuhen hervor. Seine Frisur? Eine Mischung aus „Ich bin gerade aufgestanden“ und „Der Wind hat’s gerichtet“. Seine Brille hat den Charme eines Nerds, der gerade seinen ersten IT-Workshop leitet.
Er tritt vor die Runde, einen Becher Hafermilch-Kaffee in der Hand. Seine Finger klammern sich daran, als wäre es der letzte Rettungsanker vor einem Tsunami aus skeptischen Blicken. Du kannst das Unbehagen in seinen Bewegungen spüren. Ein nervöses Lächeln huscht über sein Gesicht, aber es bleibt nicht lange. Denn er weiß, was ihr alle denkt: Was macht dieser Junge hier?
Der erste Eindruck
Er beginnt zu sprechen. Seine Stimme – hell, fast wie ein Schulsprecher bei der Morgenversammlung – hallt durch den Raum. „Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich freue mich sehr, diese neue Aufgabe zu übernehmen und gemeinsam mit Ihnen die Abteilung in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.“
Du tauschst Blicke mit deinem Sitznachbarn, Karl-Heinz, dessen Schnurrbart bebt vor unterdrücktem Lachen. Neben dir sitzt Hannelore, die Grande Dame der Buchhaltung, und schüttelt kaum merklich den Kopf. Ihr Lippenstift, ein dunkles Rot, kontrastiert mit ihrem kritischen Blick. Du merkst, wie sich die Stimmung ändert: von neugierig zu spöttisch.
Die Peinlichkeit beginnt
Der neue Chef verteilt ausgedruckte Diagramme. Die Schrift ist so klein, dass du glaubst, er wolle euch damit testen. Du nimmst das Blatt, betrachtest die bunten Balken und Pfeile und denkst: Das ist nicht ernst gemeint. Neben dir knurrt Karl-Heinz leise: „Hätte er das in PowerPoint gemacht, wäre es auch nicht besser gewesen.“
Der Junge redet über Visionen, Prozesse, Innovationen. Buzzwords prallen auf die jahrzehntelange Erfahrung der Runde wie Wattebäusche gegen einen Betonblock. Du spürst, wie eine kollektive Resignation den Raum erfasst. Hannelore rutscht tiefer in ihren Stuhl, Karl-Heinz faltet die Hände hinter dem Kopf. Und du? Du fragst dich, ob es heute im Kantinen-Menü Rouladen gibt.
Die Flucht
Nach der Besprechung steht ihr alle schweigend im Flur. Niemand spricht ein Wort – der gemeinsame Konsens ist wortlos, aber unmissverständlich: Wir gehen. Und das tut ihr auch. Ein stiller Exodus. Ihr lasst ihn zurück im Besprechungsraum, allein mit seinen Visionen und seinem Hafermilch-Becher.
Die Tragik eines jungen Chefs
Später, als du deine Jacke vom Garderobenhaken nimmst, siehst du ihn noch einmal. Er sitzt allein an seinem Schreibtisch, die Hände im Haar vergraben, der Laptop aufgeklappt. Vielleicht sucht er gerade nach einem Artikel: „Wie führe ich ein Team, das mich nicht ernst nimmt?“ Und da überkommt es dich: ein kleiner Hauch von Mitleid. Aber nur ein Hauch.
Du erinnerst dich an deine eigenen Anfänge. An die Fehler, die du gemacht hast, an die Leute, die dir keine Chance geben wollten. Und dann fragst du dich: Ist das hier ein schlechter Witz – oder eine Lektion? Vielleicht hat der Junge wirklich keine Ahnung. Aber vielleicht hat er auch mehr Mut, als ihr alle zusammen, weil er sich überhaupt in diesen Raum getraut hat.
Fazit
Während du nach Hause fährst, wird dir eines klar: Es ist leicht, zu lästern. Aber schwieriger, zu verstehen. Und vielleicht, nur vielleicht, verdient er eine zweite Chance. Oder zumindest ein paar Socken, die nicht rot sind.
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