Kapitel 97: Das Lied der Zeitalter
Das Schlachtfeld von Culloden verschwand wie ein Nebel, der von einer Brise hinweggefegt wurde, und die Gefährten spürten erneut das vertraute Ziehen, das sie durch die Ströme der Zeit schleuderte. Lyras Artefakt – nun eine schimmernde Brosche, die wie eine keltische Knotenspirale gestaltet war – pulsierte in einem ruhigen Rhythmus, als die Welt um sie herum erneut Form annahm.
Ein neues, altes Europa
Als der Nebel sich lichtete, standen sie in einer von Regen getränkten Stadt. Pflastersteine glänzten wie schwarze Spiegel unter dem grauen Himmel, und der scharfe Geruch nach nassem Leder und brennendem Holz stieg in ihre Nasen. Es war London, das Herz des Elisabethanischen Zeitalters. Der Lärm der Händler auf dem Markt vermischte sich mit den Klängen von Laute und Tamburin, und die Menschen drängten sich dicht an dicht, ihre Kleidung grob und schlicht – und doch farbenfroh in den Farben der Tudor-Dynastie.
Kai zog seinen Umhang enger um die Schultern, sein Blick wachsam wie immer. „Das ist anders als das letzte Mal.“
„Natürlich ist es das“, antwortete Solan und deutete auf einen prächtigen Wagen, der von schweren Pferden gezogen wurde. „Wir sind Jahrhunderte früher. Die Macht, die die Zeit verzerrt, hat diesen Ort ebenfalls berührt.“
Lyra betrachtete die Menschen, die an ihnen vorbeieilten. „Wir müssen herausfinden, was diese Veränderung verursacht hat.“ Ihr Blick fiel auf einen Aushang, der von einem Boten an eine Wand geheftet wurde. Es war ein Dekret, das den Namen „Sir Francis Drake“ trug – und die Warnung vor einer bevorstehenden spanischen Invasion.
Eine Bedrohung über den Wellen
Die Gefährten suchten das Herz der Stadt auf und fanden sich bald im Hof des Whitehall Palace wieder, wo sie auf niemand Geringeren als Königin Elisabeth I. trafen. Ihre königliche Robe schimmerte in Gold und Purpur, und ihre Augen musterten die Fremden mit scharfem Verstand.
„Ihr seid keine gewöhnlichen Reisenden“, stellte sie fest, ihre Stimme klar und autoritär. „Wer seid ihr, und warum seid ihr hier?“
Lyra trat vor, ihre Worte bedacht. „Wir sind Hüter der Zeit, Eure Majestät. Eine Macht jenseits dieses Zeitalters droht, die natürliche Ordnung zu zerstören. Wir sind hier, um das zu verhindern.“ Die Königin nickte langsam. „Wenn das wahr ist, werdet ihr eure Loyalität beweisen. Die Armada nähert sich, und wir brauchen jede Unterstützung, die wir bekommen können.“
Die Schlacht auf hoher See
Die nächste Reise führte die Gefährten auf die „Golden Hind“, Sir Francis Drakes Schiff. Die Wellen peitschten über das Deck, und die Luft roch nach Salz und Teer. Kai, der als Überlebenskünstler keine Gelegenheit ausließ, kletterte behände in die Takelage, während Solan mit Sir Francis über die Schwachstellen der spanischen Schiffe diskutierte. Myria Dunkelmond ließ den Nebel dichter werden, um die englischen Schiffe vor den Augen der Armada zu verbergen.
Die Schlacht war ein Chaos aus Feuer und Rauch. Seraphine hatte eine Vision von einem spanischen Kapitän, der ein Artefakt trug – eine goldene Brosche, die den Verlauf der Schlacht zu ihren Gunsten beeinflusste. Gemeinsam schlichen sich die Gefährten an Bord seines Schiffes und entwendeten das Artefakt. Ohne die magische Unterstützung brach die spanische Flotte auseinander, und die Gefährten sahen, wie die Zeitlinie wieder ins Gleichgewicht zurückkehrte.
Ein altes Paris, eine neue Gefahr
Kaum hatten sie die See verlassen, zog sie die Zeit erneut fort. Sie landeten in einem Paris, das sie bereits einmal besucht hatten – doch diesmal war es das Paris der Französischen Revolution. Die Guillotine ragte bedrohlich über den Place de la Révolution, und die Schreie von „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“ erfüllten die Luft.
„Es ist, als ob sich die Dunkelheit immer hierherzieht“, murmelte Kai.
„Und doch ist etwas anders“, ergänzte Lyra. Ihr Artefakt hatte sich in einen schlichten Ring verwandelt, dessen Gravur wie eine Karte der Stadt wirkte. „Wir waren hier, aber die Veränderungen sind tiefer.“
Ihr Weg führte sie in die Katakomben, wo sie auf eine Gruppe von Rebellen stießen, die von einem Mann namens Étienne angeführt wurden. Er sprach von seltsamen Visionen, die seine Leute quälten, und von einem „alten Gott“, der durch das Leid der Revolution wieder an Macht gewann.
Götter und Geister in den Katakomben
Die Katakomben waren ein Labyrinth aus Schädeln und Knochen, deren kaltes Flüstern selbst Myrias Nebel verstummen ließ. Tief im Herzen dieses Reiches fanden sie die Gestalt von Morkhal, dem Gott des Leidens. Sein Schatten schien die Wände selbst zu verschlingen, und seine Stimme war ein Crescendo aus Schmerz und Wut.
„Ihr könnt mich nicht aufhalten“, donnerte er. „Die Zeit selbst wird unter meinem Willen brechen.“
Doch die Gefährten, nun vereint mit Étiennes Rebellen, stellten sich ihm entgegen. Lyra, deren Artefakt nun wie eine Fackel in ihren Händen leuchtete, bannte Morkhal in die Schatten zurück, aus denen er gekommen war.
Die Highlands erneut
Ihre nächste Reise führte sie zurück in die schottischen Highlands – und erneut zur Schlacht von Culloden. Doch diesmal waren die Gefährten vorbereitet. Mit neuen Verbündeten und dem Wissen, das sie aus früheren Epochen gewonnen hatten, gelang es ihnen, die geisterhaften Krieger und Morkhals Einfluss zu bannen.
Ein Schwur, der durch die Zeit hallt
Als sie auf einem Hügel standen und die Morgenröte das blutgetränkte Land erhellte, wussten sie, dass ihre Reise noch lange nicht vorbei war.
„Wir haben vieles gesehen und vieles verändert“, sagte Solan. „Aber die Zeit ist ein Strom, der niemals stillsteht.“
Kai grinste, sein Blick war verschmitzt. „Dann sollten wir besser schwimmen lernen.“
Lyra legte ihre Hand auf ihr Artefakt, das in diesem Moment still in der Morgensonne glitzerte. „Wohin auch immer die Ströme der Zeit uns führen – wir sind bereit.“
Die Gefährten setzten ihren Weg fort, bereit, neue Zeitalter zu betreten, neue Kämpfe zu bestreiten und die Geschichte erneut zu verändern – immer mit dem Wissen, dass die Vergangenheit und die Zukunft von ihrem Mut abhingen.