Kapitel 88: Die Zersplitterung der Welten

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Kapitel 88: Die Zersplitterung der Welten

Die Zeitenwelle hatte sich erneut geöffnet, und die Gefährten fanden sich auf einer staubigen Straße wieder, die sich durch die weiten, offenen Felder von Flandern zog. Der Himmel war tiefgrau, der Wind trug den Duft von frischem Regen und Verwesung. Die Luft schien schwer, als ob sie von den Lasten einer tausendjährigen Geschichte erdrückt würde. Doch der Boden unter ihren Füßen war fest und vertraut, als wäre dieser Ort in all seinen unzähligen Wiedergeburten immer noch derselbe.

„Es ist der Frühling des Jahres 1346“, sagte Solan, während er eine Schrifttafel entrollte, die er mit einem schnellen Blick überflog. „Die Engländer unter Edward III. haben gerade die französische Armee in der Schlacht von Crécy geschlagen. Die Welt befindet sich im Umbruch, und mit jedem Schritt hinterlassen wir unseren eigenen Fußabdruck in der Geschichte.“

„Und wieder sind wir mitten in einem Kriegsfeld“, murmelte Lyra, die ihre Rüstung festzurrte, als sich ihre goldenen Löwen auf dem Wappen des Lancaster Hauses abzeichneten. Doch ihre Miene war nachdenklich. „Aber etwas ist anders. Es fühlt sich an, als ob die Geschichte sich selbst wendet, als ob der Fluss der Zeit uns in eine Richtung führt, die noch nicht geschrieben wurde.“

„Es wird nicht nur der Krieg sein, der diese Zeit verändert“, sagte Myria, die in den Nebeln der Vergangenheit schwebte. „Die Schicksale von Völkern, die sich in der Dunkelheit zusammenballen, werden uns fordern. Dies ist nur der Anfang.“

Die Gefährten blickten auf die Schlachtfelder, die sich vor ihnen ausbreiteten. Doch die Gewissheit, dass sie nicht nur als Beobachter, sondern als aktive Spieler in dieser Geschichte agieren würden, ließ das Adrenalin in ihren Adern steigen.

„Hast du den Ruf gehört?“, fragte Kai, während er die Schärfe seines Schwertes prüfte. „Etwas ruft uns, und es ist nicht nur der Kampf der Nationen.“

Plötzlich drang ein heller, durchdringender Ruf durch die Luft, und vor ihnen erhob sich ein gewaltiger Schatten. Ein seltsames, fast übernatürliches Wesen, dessen Umrisse im Nebel verschwammen. Lyra griff sofort nach ihrem Schild, während sie das Ungeheuer fixierte.

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„Die Dunkelheit der Geschichte hat uns einen neuen Gegner gesandt“, sagte Solan ruhig. „Etwas, das nicht von dieser Welt ist. Etwas, das die Götter selbst auf uns losgelassen haben.“

In diesem Moment öffnete sich der Nebel vor ihnen und gab den Blick auf eine Gruppe von Kriegern frei. Sie waren keine gewöhnlichen Soldaten, sondern erschienen wie Geister aus einer längst vergessenen Ära. Ihre Rüstungen waren von unsichtbaren Kratzern gezeichnet, ihre Augen funkelten in einem fremden, unheimlichen Glanz. Diese Krieger waren die Gefallenen von Crécy – doch nicht von dieser Welt.

„Das sind die Gefallenen des Krieges“, sagte Myria mit flüsternder Stimme. „Die verlorenen Seelen der Schlacht. Sie wurden von der Zeit selbst geholt.“

Die Krieger stürmten auf sie zu, und der Kampf begann. Doch es war nicht nur ein physischer Kampf – die Zeit selbst schien mit ihnen zu kämpfen. Die Luft war von einer seltsamen Energie durchzogen, und jede Bewegung schien den Verlauf der Geschichte selbst zu beeinflussen.

Der Krieg um die englische Krone war noch lange nicht vorbei, doch nun, da sie inmitten der Seelen der Krieger standen, begannen Lyra und ihre Gefährten zu begreifen, dass ihre Reise sie weit über bloße Schlachten hinausführen würde. Sie kämpften nicht nur um den Sieg in einem Krieg – sie kämpften um das Verständnis der Zeit selbst.

Doch die Zeit war ein unberechenbarer Gegner. Während sie gegen die verlorenen Seelen kämpften, konnte Kai spüren, wie die Grenzen zwischen den Epochen zu verschwimmen begannen. Der Boden unter ihren Füßen bebte, und die Welt um sie herum verzerrte sich.

„Wir müssen hier raus“, rief Solan, als er die Schrifttafel festhielt, die plötzlich zu flimmern begann. „Wenn wir in dieser Zeit bleiben, werden wir für immer verloren sein. Wir dürfen uns nicht von der Dunkelheit einfangen lassen.“

Aber es war zu spät. Ein gewaltiger Wind wirbelte sie durch die Luft, und mit einem letzten, ohrenbetäubenden Krachen fanden sie sich auf einer neuen Schlachtbank wieder.

Jetzt standen sie mitten im Jahr 1519, in einem Europa, das vom Schatten der Reformation und den politischen Kämpfen der großen Herrscher geprägt war. Der Himmel war vom feurigen Sonnenuntergang erleuchtet, als sich die Gefährten aus den Trümmern eines alten Gebäudes erhoben.

„Wir sind nicht mehr in Frankreich“, sagte Solan mit einem verwirrten Blick. „Es ist ein neuer Krieg, ein neuer Konflikt. Der Kaiser Karl V. bereitet sich auf die Eroberung von Italien vor, und auch die Papststaaten sind nicht sicher vor den Spannungen der Zeit.“

„Die Zeit hat uns hierher geführt, aber nicht ohne Grund“, sagte Lyra. „Es gibt viel zu lernen, aber auch viel zu verlieren.“

In dieser Zeit des Umbruchs, in der die Welt im Aufruhr war, trafen die Gefährten auf neue Verbündete – die wie die Spanier unter Karl V. eine Vielzahl von Kriegen führten, um ihre Herrschaft auszudehnen. Doch auch die Mächte der Kirche, die nicht immer in Einklang mit den weltlichen Mächten standen, spielten eine Schlüsselrolle im Schicksal dieser Welt.

„Wir sind gekommen, um das Wissen der Götter zu erlangen“, sagte Myria, „und wir werden es finden, auch wenn wir gegen die Winde der Geschichte kämpfen müssen.“

Die Welt um sie war ein dichtes Netz von Konflikten und Schlachten. Die Städte von Rom und Florenz wurden von den Schlachten zwischen den römischen und spanischen Armeen erschüttert. In den dunklen Ecken Europas regten sich die Ideen der Reformation, und die Erhebungen gegen die katholische Kirche begannen, die Gesellschaft zu spalten.

„Wir sind hier, um zu verstehen, was uns in diese Zeit geführt hat“, sagte Kai, als er die Schlachtlinien aus der Ferne betrachtete. „Jeder dieser Kriege hat seinen Preis, aber es ist nicht nur das Blut, das vergossen wird. Es sind die Ideen, die kämpfen.“

Doch während sie sich tiefer in die Komplexität dieser Ära einarbeiteten, begannen sie zu merken, dass ihre Reise mehr war als nur eine chronologische Erkundung. Ihre Aufgabe war es, die wahren Geschichten zu verstehen, die hinter den Zeilen verborgen lagen – die verborgenen, oft dunklen Geheimnisse, die von den großen Mächten der Geschichte zu lange verschwiegen worden waren.

Es war kein Zufall, dass sie durch diese Epochen gereist waren. Die Zeit hatte sie zu einem neuen Ziel geführt, zu einer Wahrheit, die im Nebel der Geschichte lag und darauf wartete, entdeckt zu werden.

„Es gibt immer mehr zu entdecken“, sagte Solan und blickte über die Felder von Italien, die nun von den Armeen Karl V. zersplittert waren. „Aber der wahre Kampf, der uns erwartet, liegt nicht auf dem Schlachtfeld. Es ist der Kampf um das Verständnis der Geschichte selbst.“

Die Reise hatte sie durch die Zeit geführt, doch sie wussten, dass noch viele Geheimnisse in den Schatten der Geschichte auf sie warteten.

Und so setzten sie ihren Weg fort, durch die Schlachten, die Seuchen und die Epochen der Geschichte – stets begleitet von der unaufhaltsamen Reise der Zeit, die niemals stillstand und immer neue Herausforderungen bereithielt.

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