Kapitel 85: Der Ruf der Vergangenheit

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Kapitel 85: Der Ruf der Vergangenheit

Die Dunkelheit verschwand, und die Geschichte begann sich erneut zu ordnen. Das Schlachtfeld von Marathon, nun frei von den Nebeln und der Verfälschung der Zeit, lag vor ihnen in einem neuen, klaren Licht. Doch es war nicht mehr der Ort, den sie gekannt hatten. Der Himmel, der sich zuvor in düsteren Wolken gehüllt hatte, zeigte sich nun in einem tiefen Blau, und der Olymp im Hintergrund wirkte weniger bedrohlich, als ob auch er eine Wunde erlitten hatte, die sich nur langsam schloss. Der Boden war nach wie vor vom Blut vergangener Kämpfe getränkt, aber es schien, als ob ein neuer Atem durch die Luft zog, als ob der Ort eine Chance auf Heilung erhalten hatte.

„Es fühlt sich… leer an“, sagte Lyra, als sie ihre Schritte über den weichen Boden setzte. Ihr Armband hatte sich verändert – es leuchtete jetzt in einem sanften, silbernen Glanz, fast so, als ob es das Tageslicht selbst in sich aufnahm.

„Weil wir den Ursprung der Verzerrung beseitigt haben“, antwortete Kai und griff nach seinem Speer, der jetzt einen polierten Silberglanz trug. „Die Schatten, die Mephos geworfen hat, haben sich zurückgezogen. Aber wir wissen noch nicht, wie tief seine Macht geht. Die Geschichte wurde nicht nur geändert, sie wurde auch getäuscht.“

Solan, der in Gedanken versunken war, blickte auf seine Schrifttafel. „Es gibt noch Risse in der Zeit. Risse, die Mephos hinterlassen hat. Aber die wahre Gefahr ist nicht die Geschichte selbst, sondern die Kräfte, die er freigesetzt hat. Wenn wir diese nicht stoppen, werden wir weiter in einem Meer aus verzerrter Vergangenheit schwimmen.“

„Wir haben uns schon einmal hier aufgehalten“, sagte Lyra, und ihre Stimme hallte leicht wider. „Und damals war es der Ausgangspunkt einer viel größeren Reise. Doch diesmal fühlt es sich anders an, als ob sich das ganze Universum nach dieser Schlacht umgewandelt hat.“

Om 25

„Vielleicht hat sich die Welt, aber nicht wir“, sagte Seraphine, die Visionärin, und blickte in die Ferne, als könnte sie den Schleier der Zukunft durchdringen. „Ich sehe… Kriege, Schlachten, das Blut von Soldaten und die Schreie der Untergangsstädte. Aber auch das Licht, das zwischen den Wolken hervortritt. Das ist unser Weg. Unsere Bestimmung.“

„Das ist mehr als nur eine Erinnerung“, fügte Sira Valeris hinzu, die Verwandlungskünstlerin. Sie verwandelte sich blitzschnell in einen Adler und stieg in die Lüfte, als ob sie die Antwort aus der Ferne suchen wollte. „Etwas Größeres zieht uns jetzt an, und wir müssen uns darauf vorbereiten.“

Als Sira sich wieder niederließ, spürten sie es – eine Veränderung im Raum, ein Riss, der sich nicht nur durch die Zeit, sondern auch durch die Dimensionen zog. Und wie von einem unheilvollen Ruf herangezogen, durchbrach das Trio die Linie der Realität erneut.

„Bereit?“, fragte Solan, als er sich das Schrifttablett besser auf dem Arm befestigte. „Denn dieser Ruf führt uns nicht nur in die Vergangenheit, sondern zu einer neuen Etappe des Kampfes. Eine, die wir nicht erwartet haben.“

„Es ist kein Zurück mehr möglich“, antwortete Kai. „Wir sind bereit.“

Und so begaben sie sich erneut auf ihre Reise, ihre Kleidung und Ausrüstung nahmen die Gestalt der Zeit an. Lyras Rüstung, die zuvor noch aus Bronze war, passte sich nun der antiken griechischen Mode der letzten großen Kriege an, die Helme und Panzer aus feinstem Metall zeigten die Zeichen der Zeus-Anhänger, während Kai in eine ähnliche Rüstung gehüllt war, die mehr als nur eine Schicht der Geschichte trug. Solan, der Historiker, trug nun einen gewundenen Umhang, der die Symbolik von weit zurückliegenden Epochen aufgriff und noch etwas anderes verbarg – eine Art von Wissen, das nur die weisesten der Gelehrten trugen.

Und dann, wie durch den Druck eines unsichtbaren Zaubers, fanden sie sich nicht nur an einem neuen Ort wieder, sondern in einer völlig anderen Ära. Der Himmel über ihnen war blutrot, als der erste Sonnenaufgang einer neuen Ära aufging. Der Klang von Kriegshörnern durchbrach die Stille, und die Hitze des Kampfes lag wie ein dicker Schleier über der Umgebung.

„Wir sind in der Zeit von Hannibal“, sagte Solan mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Besorgnis, während er sich umdrehte, um die gewaltigen Streitkräfte der Karthager zu sehen. „Das Jahr 218 v. Chr. Der Zweite Punische Krieg.“

Kai und Lyra tauschten einen Blick aus. Sie hatten diesen Ort schon einmal betreten – das Spielfeld der Geschichte war denselben Wegen gefolgt, doch diesmal war die Herausforderung eine andere. Die Landschaft war durchzogen von einem feinen Dunst, als ob sie durch das Labyrinth der Zeit selbst hindurchschritten.

„Dies ist die Zeit, in der Hannibal über die Alpen marschierte, um Rom zu vernichten“, sagte Lyra, ihre Stimme fest. „Und wir sind Zeugen dieses Kampfes. Doch diesmal liegt das Schicksal nicht nur in den Händen eines Mannes – sondern in den Händen von uns allen.“

„Komm“, sagte Solan, „wir müssen uns der Schlacht stellen, bevor sich die Schleier erneut verdichten.“

Mit dem Donner der Kriegshörner und dem Voranschreiten der Armeen von Karthago begann das Feld zu beben, als die Historie selbst in ihren heftigsten Momenten wiederauferstand. Die Soldaten der Karthager rüsteten sich für den Marsch, der den historischen Verlauf verändern würde, während die Römer sich auf die bevorstehende Niederlage vorbereiteten. Aber auch hier war mehr zu entdecken – die Zerstörung, die nach der Schlacht folgte, würde eine Spur hinterlassen, die sie weiterverfolgen mussten, um den Ursprung des Chaos zu erkennen.

Der Boden unter ihren Füßen vibrierte, als der Druck des Krieges wuchs, und sie wussten, dass sie in der Zeit nicht nur Zeugen waren – sie waren ein Teil davon, und die nächste Etappe ihrer Reise würde sie unweigerlich auf das Feld des Konflikts führen, wo das Schicksal erneut neu geschrieben werden musste.

„Dies ist der Moment“, sagte Lyra und zog ihr Schwert. „Der Moment, in dem alles entschieden wird.“

Und so setzten sie ihre Reise fort, nicht als Beobachter der Geschichte, sondern als Akteure, die den Fluss der Zeit beeinflussten. Ihre Schritte, ihre Entscheidungen – alles war von Bedeutung. Und der Ruf der Vergangenheit hallte weiter, als der Wind des Krieges sie weiter in die Tiefen der Geschichte trieb.

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