Kapitel 84: Das Erbe der Sturmgeborenen

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Kapitel 84: Das Erbe der Sturmgeborenen

„Wir sind wieder hier“, murmelte Lyra, als sie sich durch das veränderte Schlachtfeld von Marathon bewegte. Der Boden, der zuvor von den Geistern der Geschichte durchzogen war, war nun mit einer düsteren Patina überzogen, als ob die Erde selbst den Blutvergießen der vergangenen Jahrtausende nicht länger tragen konnte. In der Ferne zeichnete sich der Olymp in einem trüben Licht ab, doch selbst dieser mächtige Berg hatte seinen Glanz verloren, als ob er das Gewicht der verlorenen Zeit selbst spürte.

„Ja“, sagte Kai und zog seine neue Waffe, einen bronzenen Speer, der perfekt zu seiner Rüstung passte. „Aber es fühlt sich anders an. Etwas hat sich verändert, Lyra. Der Einfluss von Mephos geht weiter als nur die Schlacht. Der Schleier der Zeit, den er webt, ist stärker als je zuvor.“

Solan, der nun ein antikes Schrifttablett trug, das mit den Symbolen des Wissens vergangener Epochen verziert war, nickte nachdenklich. „Er hat die Geschichte selbst verfälscht. Wir haben diesen Ort bereits betreten, aber jetzt ist er nicht mehr der gleiche. Wir müssen den Ursprung dieser Veränderung finden, bevor er weiter die Struktur der Zeit zerreißt.“

Lyra spürte die feine Vibration des Armbands an ihrem Handgelenk. Es war der gleiche, vertraute Schmuck, den sie schon immer getragen hatte, doch er hatte sich verändert. Jetzt schimmerte er in einem tiefen, blutroten Farbton, als ob er die Kraft der blutigen Schlacht in sich aufnahm. Sie wusste, dass sie nicht mehr nur als Beobachterin der Geschichte auftraten – sie waren Teil von ihr. Und das Schicksal dieser Zeit lag nun in ihren Händen.

„Vor uns liegt eine Entscheidung“, sagte sie und blickte auf das düstere Schlachtfeld. „Der wahre Feind ist nicht nur Mephos, sondern das Chaos, das er in die Geschichte gepflanzt hat. Wenn wir ihn besiegen wollen, müssen wir zuerst die Ketten der Zeit selbst durchbrechen.“

„Dann ist der Plan klar“, sagte Kai mit einem entschlossenen Blick. „Wir finden Mephos, und wir stellen ihn zur Rechenschaft.“

„Und wir bringen die Ordnung zurück“, fügte Solan hinzu, die Schrifttafel fest in den Händen. „Aber dafür müssen wir mehr über seine Verbindung zur Zeit herausfinden. Es gibt mehr, was uns an diesem Ort erwartet.“

Lyra nickte, und das Trio setzte ihren Marsch fort. Als sie tiefer in das Schlachtfeld vordrangen, nahmen die Veränderungen Formen an. Der Nebel, der die Linien der griechischen Krieger durchbrach, war dichter als je zuvor. Myria Dunkelmond, die Herrin der Nebel, trat plötzlich aus dem Dämmerlicht. Ihre schwarzen Augen funkelten wie die Sterne in einer Nacht, die nie endete.

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„Der Nebel ist stärker geworden“, sagte sie, während ihre Hand den Raum um sie herum veränderte, die Dunkelheit der Zeit mit jeder Bewegung vertiefte. „Mephos hat ihn verstärkt. Er nutzt diese Wolken, um die Realität zu verzerren. Aber ich kann ihm entgegenwirken. Lasst mich den Nebel durchdringen.“

„Das wird nicht genug sein“, antwortete Seraphine, die Visionärin, die mit einem ernsthaften Blick auf die aufkommenden Fluten der Geschichte starrte. „Der Nebel ist nur ein Teil des Ganzen. Mephos‘ wahre Macht liegt in der Verzerrung der Zeit. Er ist nicht mehr der, der er einmal war. Was er an die Oberfläche bringt, sind nur Echos vergangener Schlachten.“

„Und Echos können nur von denen bezwungen werden, die die Vergangenheit verstehen“, fügte Solan hinzu, seine Stimme ein tiefes Murmeln, das wie ein Aufruf in die alten Hallen der Geschichte klang.

„Aber wir sind nicht allein“, sagte Selena Arinthal, die Lichtweberin, die ein leuchtendes Netz aus Licht um sich herum spannte, als sie auf die Dunkelheit vor ihnen starrte. „Die Dunkelheit kann nur in dem Moment besiegt werden, in dem wir das Licht zurückholen. Lasst uns den Nebel durchdringen, und mit jedem Schritt wird die Wahrheit klarer.“

Mit einem entschlossenen Nicken setzten die Gefährten ihre Reise fort. In den Stunden, die folgten, bewegten sich ihre Schritte synchron durch die aufkommenden Wirbel der Zeit, als wäre jeder Schritt ein Band, das sie enger mit der Geschichte verband, die sie zu ändern versuchten.

Als sie endlich den Gipfel des Schlachtfeldes erreichten, wo das Herz der Zeit verzerrt war, erblickten sie eine neue Form von Mephos. Er war nicht mehr der dunkle Regent, der über die Schatten der Vergangenheit herrschte. Jetzt war er ein Schatten selbst, ein Fragment aus zahllosen Epochen, die miteinander verschmolzen waren. Die Spuren der Geschichte waren in seiner Gestalt eingraviert – die Schlachten von Thermopylae, die Zerstörung von Troja, die Belagerung von Athen – alles war in ihm zu einer einzigen, unfassbaren Macht geworden.

„Du bist nicht mehr der, der du warst“, sagte Lyra, während sie sich ihm näherte. „Du bist nur noch ein zerbrochener Traum der Zeit. Und wir werden diesen Traum beenden.“

Mephos’ Augen flackerten mit einem unheilvollen Licht. „Ihr versteht nicht. Ihr seid nur das Echo dessen, was war. Was ihr sucht, ist nicht die Wahrheit – es ist der Verlust der Wahrheit. Ich habe die Zeit verändert, und nun ist sie mein.“

„Aber wir sind die Hüter der Zeit“, entgegnete Kai, sein Schwert fest in der Hand. „Und die Wahrheit wird immer durch uns hindurch fließen.“

Mit einem letzten Blick auf seine zerbrochene Form erhob sich Mephos, die dunklen Schatten der Vergangenheit, die er kontrollierte, zogen sich in einen Sturm zusammen, der das Feld umhüllte. Doch während der Sturm tobte, flammte Lyra’s Armband auf. Das Zeichen der Titanen, das durch die Zeit war, leuchtete wie ein Leuchtfeuer, das die Dunkelheit zu vertreiben begann.

„Jetzt!“ rief Solan, als er die Schrifttafel hob, deren Symbole begannen, in flimmerndem Licht zu erstrahlen. „Die Zeit kehrt zurück, und der Moment der Entscheidung ist gekommen.“

Die Dunkelheit löste sich in einer Welle von Licht und Klang auf. Der Sturm, der durch die Zeitalter hinweg wütete, begann sich zu zerstreuen. Die Geschichte selbst begann sich zu ordnen, während Lyra, Kai und ihre Gefährten zusammen standen, der Nebel langsam zurückwich und das Feld von Marathon in ein neues, unerforschte Land verwandelte.

„Es ist vorbei“, flüsterte Selena, als die Dunkelheit endgültig verschwand.

„Aber die Geschichte wird immer weitergehen“, sagte Lyra, „und wir müssen bereit sein, sie zu bewahren.“

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