Kapitel 74: Die Flotte der Jahrhunderte
Das Flimmern der Zeitenwelle ebbte ab, und die Gruppe fand sich auf schwankendem Holz wieder. Salzige Gischt peitschte über ihre Gesichter, und das Kreischen der Möwen vermischte sich mit den donnernden Rufen von Seeleuten. Kai war der Erste, der sich sammelte und die neue Szenerie in sich aufnahm. Sie standen an Bord eines mächtigen Triremen-Schiffes, die Segel prangten mit einem Symbol, das Lyra als phönizisch erkannte – doch etwas daran schien fremdartig, fast wie eine Verschmelzung aus bekannten und unbekannten Elementen.
„Die Schlacht von Salamis,“ murmelte Solan, während er auf die gewaltige Flotte blickte, die sich am Horizont sammelte. „Wir sind mitten im Jahr 480 v. Chr. – Perser gegen Griechen.“
„Das erklärt die Spannung,“ sagte Kai, seine Stimme angespannt, während das Schiff von einem plötzlichen Manöver in Bewegung gesetzt wurde. Die anderen hatten sich um ihn versammelt, ihre Kleidung jetzt passend zu der Epoche: Chitons und Tuniken aus feinem Leinen, mit Ledergürteln und bronzenen Rüstungen. Lyras Artefakt, einst eine schlichte Halskette, war nun in das Muster eines Armbands gewoben, der von phönizischen Symbolen geziert wurde.
Myria Dunkelmond ließ den Nebel, der sie beim Übergang umgeben hatte, langsam verblassen. „Wir sind nicht allein hier. Spürt ihr es? Irgendetwas Dunkles beobachtet uns.“
Eine Armee unter Wellen
Die Wellen vor ihnen begannen zu brodeln, und aus den Tiefen erhoben sich Schiffe, deren Bauweise nicht in diese Zeit gehörte. Sie waren grotesk – aus schwarzem Holz mit Segeln, die aussahen, als wären sie aus Nebel gewebt. Ihre Besatzung bestand aus schattenhaften Gestalten, die unnatürlich zuckten, als wären sie Marionetten ohne Fäden.
„Das ist Mephos’ Werk,“ sagte Seraphine Veyra, deren Augen sich für einen Moment ins Leere richteten. „Er hat erneut in die Zeitlinie eingegriffen. Diese Schiffe… sie gehören nicht hierher.“
„Es sind Geister aus einer zerstörten Epoche,“ ergänzte Sira Valeris, die ihre Gestalt in die einer Möwe verwandelte und in die Luft stieg, um die Feinde zu überblicken.
„Dann sollten wir ihnen zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind,“ sagte Lyra mit scharfem Ton. Sie hob ihren Armband, dessen Runen jetzt in einem warmen, goldenen Licht leuchteten, als hätte er die Kraft dieser Epoche in sich aufgenommen.
Die Schlacht entbrennt
Die Flotte der Griechen und Perser, die eben noch in stummer Feindschaft verharrte, wurde durch die Ankunft der Schattenflotte gezwungen, ihre Differenzen beiseitezulegen. Trommeln donnerten, als die Schiffe in Formation gingen, und das Wasser bebte unter der Bewegung hunderter Ruder.
Kai führte den Angriff auf dem eigenen Schiff an, seine Bewegungen flink und präzise, während er mit einem Kurzschwert Schattenkrieger niedermähte, die versuchten, an Bord zu klettern. Lyra stand an der Reling, ihre Klinge von magischem Licht durchdrungen, und schlug in einem weiten Bogen auf die Eindringlinge ein.
Selena Arinthal erhob die Hände, und ein blendender Blitz durchzuckte die Luft, der ein feindliches Schiff in Flammen aufgehen ließ. Myria Dunkelmond nutzte den Nebel, um die Sicht der Feinde zu stören, während Solan eine uralte Inschrift murmelte, die eine schützende Aura um ihr Schiff legte.
„Wir müssen den Ursprung zerstören,“ rief Seraphine, als sie eine weitere Vision empfing. „Der Anführer dieser Flotte… er ist nicht nur ein Diener Mephos. Er ist ein gefallener Gott.“
Der Sturm auf den Leviathan
Während die Schlacht tobte, sahen sie das Flaggschiff der Schattenflotte: einen Leviathan aus Holz und Knochen, dessen Bug wie ein riesiger Drachenkopf geformt war. Rauch stieg aus seinen Tiefen, und die Schattenkrieger schienen unerschöpflich aus seinem Inneren zu strömen.
„Das Schiff ist das Zentrum,“ sagte Solan, seine Stimme fest. „Wenn wir es versenken, bricht die Verbindung zu dieser Zeitlinie.“
„Dann nichts wie los!“ rief Kai und stürzte sich in ein bereitgestelltes Ruderboot. Lyra, Myria, und die anderen folgten ihm, während Seraphine eine weitere Vision durchlebte.
„Passt auf,“ warnte sie. „Das Schiff ist eine Falle. Es lebt.“
Die Konfrontation mit dem Gott
Als sie das Leviathan-Schiff erreichten, wurden sie von einer massiven Gestalt empfangen: Asshurak, der Schatten-Gott, ein gefallener Beschützer des mesopotamischen Pantheons, dessen Macht von Mephos korrumpiert worden war. Er schien sowohl aus Schatten als auch aus uralten Relikten zu bestehen, seine Augen glühten wie geschmolzene Bronze.
„Ihr wagt es, meine Domäne zu betreten?“ donnerte seine Stimme, die die Luft zum Vibrieren brachte.
„Deine Domäne gehört nicht hierher!“ rief Lyra zurück und griff an.
Der Kampf gegen Asshurak war intensiv. Seine Macht schien unendlich, doch die Einheit der Gruppe war stärker. Selena blendete ihn mit ihrem Licht, während Myria seine Angriffe mit Nebel abschwächte. Sira verwandelte sich in einen Panther und lenkte ihn ab, während Kai gezielte Schläge ausführte.
Lyra gelang schließlich der entscheidende Treffer, indem sie den Leviathan mit der Kraft ihres Artefakts durchbohrte. Asshurak schrie auf, und mit ihm zerbrach die Verbindung, die die Schattenflotte in dieser Zeit hielt.
Ein neues Ziel
Die Schattenflotte verschwand, und die historische Schlacht von Salamis setzte sich fort, als hätte es die Unterbrechung nie gegeben. Doch bevor die Gruppe verschnaufen konnte, fühlten sie erneut die Präsenz der Zeitenwelle.
„Wohin jetzt?“ fragte Kai, als sich die Welt um sie herum zu drehen begann.
„Ich spüre… die Mauern von Troja,“ sagte Solan nachdenklich. „Aber sie sind anders, als ich sie je beschrieben habe.“
Die Gruppe schloss sich eng zusammen, bereit, sich der nächsten Herausforderung zu stellen, während sie in eine neue Zeit gezogen wurden – zu einer Geschichte, die sie glaubten, bereits zu kennen, doch deren Verlauf sich für immer verändert hatte.