Kapitel 71: Der Schrei der Titanen

Rb
Lesedauer 4 Minuten

Kapitel 71: Der Schrei der Titanen

Die Luft war schwer von Staub und dem metallischen Geruch des Krieges. Trommelschläge hallten wie der Herzschlag einer riesigen Bestie über die Ebene von Zela. Vor ihnen erhoben sich die Lager der römischen Legionen, die Banner mit den goldenen Adlern leuchteten im frühen Morgenlicht. Doch weiter im Osten, kaum sichtbar, schimmerte die dunklere Seite des Krieges: Mithridates’ Streitkräfte, begleitet von fremdartigen Schatten, die sich unnatürlich über den Boden bewegten.

Kai strich sich durch sein Haar, das jetzt wie bei einem römischen Legionär kurz geschnitten war. Seine Tunika aus festem Leinen und die ledernen Sandalen fühlten sich gleichzeitig fremd und seltsam passend an. „Also, wir sind mitten in einem der blutigsten Konflikte der Antike gelandet. Ich nehme an, das ist kein Zufall?“

„Nie ist es das“, antwortete Solan und zog seinen neuen Umhang enger um die Schultern. Er war dunkelrot und trug das Wappen eines römischen Strategen. „Die Zeitenwelle hat uns hierher gebracht. Aber warum?“

Lyra, die sich an den veränderten Armband an ihrem Handgelenk klammerte, ließ den Blick über die Ebene schweifen. „Es ist nicht nur die Schlacht. Die Schatten … seht ihr das?“ Ihre Stimme war leise, doch drängend. „Das ist nicht normal. Die Dunkelheit hat sich hier eingenistet.“

Solan nickte, seine Augen funkelten hinter der neu aufgesetzten Maske eines römischen Offiziers. „Wir wissen, dass Mephos uns verfolgt. Was auch immer er hier sucht, es wird mit diesem Krieg zu tun haben. Und mit diesem Ort.“

Myria Dunkelmond, die nun in der Rüstung einer thrakischen Schildmaid gekleidet war, schritt voran. Ihr schwarzer Nebel umhüllte sie wie eine zweite Haut. „Die Zeit hat sich verändert“, sagte sie. „Wir waren bereits hier. In einer anderen Ära. Aber die Schatten sind neu. Sie versuchen, das Schicksal der Schlacht zu verändern – und damit vielleicht die Zukunft.“

Ein alter Ort in neuem Gewand

Die Gruppe hatte Zela schon einmal gesehen. In einer anderen Zeit, unter anderen Umständen. Damals war es eine verschlafene Handelsstadt gewesen, ein Treffpunkt zwischen Ost und West. Doch jetzt war sie ein Kriegsschauplatz. Die Mauern der Stadt, die einst mit lebhaften Fresken bedeckt gewesen waren, waren rußgeschwärzt und beschädigt. Überall lag die Spannung eines drohenden Kampfes in der Luft.

„Damals“, begann Solan, während sie sich der römischen Seite näherten, „waren wir nur Beobachter. Wir haben gesehen, wie diese Stadt entstand. Aber jetzt … jetzt sind wir mitten im Konflikt.“

„Und diesmal ist nichts, wie es war“, fügte Lyra hinzu. „Der Tempel, den wir einst besucht haben – wo wir das erste Mal die Runen der Sterne sahen – ist zerstört.“

Kai kniff die Augen zusammen, als er die Trümmer in der Ferne erblickte. „Vielleicht ist das der Punkt. Etwas hat die Zeitlinie verändert, und wir müssen herausfinden, warum.“

Die Schatten der Dunkelheit

Während sie durch das römische Lager gingen, fiel der Gruppe auf, dass nicht alle Soldaten normale Menschen waren. Einige von ihnen schienen seltsam blass, ihre Augen glühten in einem schwachen Rot. Andere bewegten sich mit einer Steifheit, die nicht natürlich war.

„Die Dunkelheit hat sie ergriffen“, flüsterte Myria. „Sie sind keine Menschen mehr, sondern Werkzeuge von Mephos.“

Om 25

„Und dennoch kämpfen sie für die Römer“, bemerkte Solan. „Das bedeutet, dass Mephos mehr als nur Mithridates beeinflusst. Er will den gesamten Verlauf der Geschichte stören.“

Ein hochgewachsener Mann mit einer beeindruckenden Rüstung trat aus einem der Zelte. Seine Haltung war aufrecht, sein Blick durchdringend. „Ich bin Decimus Aurelius“, stellte er sich vor. „Tribun unter Gnaeus Pompeius Magnus. Wer seid ihr, Fremde, und warum führt das Schicksal euch zu uns?“

„Wir sind Reisende“, sagte Lyra mit einer Stimme, die gleichzeitig zurückhaltend und bestimmt war. „Wir sind hier, um die Ordnung zu schützen. Und um sicherzustellen, dass dieser Krieg nicht mehr zerstört, als er sollte.“

Aurelius’ Augen verengten sich, doch er nickte langsam. „Dann seid ihr Verbündete. Mithridates’ Kräfte haben sich verändert. Seine Armee ist nicht mehr rein menschlich. Es heißt, er habe ein Bündnis mit den alten Göttern des Ostens geschlossen.“

„Die Dunkelheit“, murmelte Myria. „Sie steckt hinter allem.“

Der Ruf der Titanen

Plötzlich erhob sich ein donnernder Klang vom östlichen Horizont. Die Erde bebte, und aus der Ferne konnte die Gruppe die Silhouetten gigantischer Gestalten sehen, die sich zwischen den Reihen von Mithridates’ Soldaten bewegten.

„Das sind keine Menschen“, sagte Kai, seine Stimme angespannt. „Das sind Titanen.“

„Die alten Götter“, flüsterte Myria. „Oder was von ihnen übrig ist.“

„Wenn Mephos sie kontrolliert, wird diese Schlacht mehr als nur eine Seite verändern“, sagte Solan. „Es wird die gesamte Geschichte in den Abgrund reißen.“

„Dann bleibt uns nur eines“, sagte Lyra und zog ein Schwert, das jetzt in einem antiken Stil geschmiedet war, mit goldenen Runen, die entlang der Klinge schimmerten. „Wir kämpfen. Nicht nur für die Römer oder gegen Mithridates. Sondern für die Zukunft selbst.“

Die Schlacht von Zela

Als die ersten Ränge der römischen Soldaten auf das Schlachtfeld marschierten, verschmolz die Gruppe mit ihnen. Ihre Kleidung und Waffen passten sich nahtlos an – eine Täuschung, die sie vor neugierigen Blicken schützte.

Die Dunkelheit war greifbar, als die beiden Armeen aufeinanderprallten. Doch die wahre Bedrohung waren die Titanen. Gigantische Wesen aus Stein und Schatten stapften über das Feld und zerschmetterten alles, was sich ihnen in den Weg stellte.

Kai und Lyra kämpften Seite an Seite, ihre Bewegungen einstudiert und präzise. Solan hielt sich zurück, seine Augen suchten unentwegt nach einem Muster in der Dunkelheit, nach einer Schwachstelle, die sie ausnutzen konnten.

„Dort!“, rief er schließlich und deutete auf einen Punkt in der Nähe des östlichen Lagers. „Mephos hat dort einen Altar errichtet. Er nutzt ihn, um die Titanen zu kontrollieren.“

„Dann zerstören wir ihn“, sagte Lyra, ihre Stimme entschlossen.

Ein Bündnis mit der Vergangenheit

Doch bevor sie sich bewegen konnten, erschien Decimus Aurelius erneut. „Ihr habt ungewöhnliche Fähigkeiten“, sagte er und zog sein Schwert. „Doch wenn wir gewinnen wollen, braucht ihr die Hilfe Roms.“

„Und was schlagt Ihr vor?“, fragte Solan.

„Pompeius selbst wird das Feld betreten. Er hat einen Plan, wie wir Mithridates’ Titanen bezwingen können. Ihr müsst ihn unterstützen. Ohne euch werden wir scheitern.“

Lyra sah in die Richtung des Altars. „Wir haben keine Wahl. Wenn Pompeius scheitert, wird die Dunkelheit gewinnen. Und wenn Mephos den Altar weiter nutzt, wird sie über alle Zeiten herrschen.“

Die Gruppe nickte einander zu, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg – in die Mitte der größten Schlacht, die die Antike je gesehen hatte. Der Ruf der Titanen hallte über das Feld, und die Zeit selbst schien den Atem anzuhalten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert