Kapitel 70: Der Ruf der Sterne

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Kapitel 70: Der Ruf der Sterne

Der erste Schlag hallte durch den Obsidianwald, als die Agari ihre Waffen gegen die Gruppe erhoben. Der Wald, dunkel und fremd, war der Ort, an dem die Dunkelheit ihre Wurzeln weit in den Boden gegraben hatte, doch auch hier kämpften Lyra und ihre Gefährten mit einer Entschlossenheit, die keine Macht brechen konnte.

„Für das Licht“, rief Selena Arinthal, die Lichtweberin, und in einem einzigen, meisterhaften Schwung ihrer Hände explodierten Lichtstrahlen aus dem Dämmernebel. Die Angreifer der Agari wichen kurz zurück, geblendet von der intensiven Helligkeit. Doch es war mehr als nur Licht – es war eine Erinnerung an den Sternenhimmel, den die Agari selbst einst bewohnt hatten.

„Sie wissen nicht, was sie tun“, murmelte Lyra, ihre Hand fest um den veränderten Armband geschlossen. Der Armband, der sich an die Gezeiten der Zeit anpasste, war jetzt mehr als nur ein Schmuckstück – er hatte sich zu einem mystischen Artefakt verwandelt, das pulsierte, als spüre es die Bewegungen der Sterne und des Schicksals.

„Und dennoch“, sagte Solan, der Historiker, „auch der Sternenhimmel hat seine Dunkelheit. Vielleicht müssen wir ihn erst erkennen, um die Agari zu verstehen.“

Kai, der Überlebenskünstler, hatte sich hinter die ersten Reihen der Krieger gestellt und schlich durch den Wald, seine Bewegungen präzise und fast unsichtbar. „Versteh mich nicht falsch, aber wir haben keine Zeit, zu philosophieren. Wir müssen durch die Agari kommen, bevor die Dunkelheit uns überholt.“

„Hört auf zu kämpfen“, rief Myria Dunkelmond plötzlich, ihre Stimme klar und autoritär. Der Nebel, den sie beherrschte, wogte um die Gruppe und trennte sie von den Agari-Kriegern. „Die Zeit hat sich verändert. Die Agari sind nicht mehr nur Krieger der Sterne. Sie sind auch Hüter der Dunkelheit. Um sie zu gewinnen, müssen wir mit ihnen sprechen.“

Die Gruppe hielt inne. Die Dunkelheit, die sie alle befürchtet hatten, war nicht nur eine äußere Bedrohung. Sie war auch ein innerer Konflikt – ein Test der Stärke und des Glaubens.

„Wie können wir ihnen vertrauen?“, fragte Kai, der sich aus der Deckung erhob und seine Waffen griffbereit hielt. „Sie haben sich uns entgegengeworfen.“

Om 25

„Es ist nicht die Dunkelheit, die wir besiegen müssen, sondern das, was sie uns vorgaukelt“, sagte Myria leise, ihre Augen auf die drei Krieger der Agari gerichtet, die sich langsam näherten. „Ich werde den Nebel lichten. Wenn ihr den Weg in den Tempel von Ysmir finden wollt, müsst ihr durch die Agari hindurch – und das geht nur mit ihrem Einverständnis.“

„Wir sind bereit“, sagte Lyra, ihre Stimme fest. „Wir haben uns gegen die Dunkelheit gestellt, und das werden wir weiterhin tun.“

Einige der Agari-Krieger traten näher und neigten ihre Köpfe in einer Geste des Respekts, doch ihre Augen funkelten misstrauisch. „Ihr wollt das Wissen der Sterne?“, fragte einer von ihnen. „Ihr wollt in den Tempel von Ysmir? Dann beweist es. Überwindet die Dunkelheit in euch selbst.“

„Wir sind bereit“, wiederholte Lyra, und ein schwacher Schimmer durchbrach die Dunkelheit in ihren Augen. „Lasst uns den Tempel betreten.“

Die Agari schienen sich zu besinnen. Schließlich nickte der Anführer der Krieger. „Dann folgt uns. Doch erwartet, dass der Weg nicht einfach sein wird. Die Dunkelheit folgt euch immer. Und wenn ihr den Tempel betretet, wird die Zeit selbst zu einem Drahtseilakt.“

In der Stille, die sich über den Wald legte, führte der Agari-Anführer die Gruppe tiefer in den dunklen Wald. Der Nebel lichtete sich, doch die Luft war immer noch von der Schwere der Dunkelheit durchzogen. Sie erreichten schließlich eine Felswand, hinter der ein geheimer Eingang verborgen war. „Dies ist der Zugang“, sagte der Krieger und schritt voran, um die Wand zu berühren.

Ein leises Vibrieren ging durch den Boden, und die Wand öffnete sich wie von unsichtbarer Hand. Dahinter lag ein dunkler Tunnel, dessen Wände von seltsamen Runen und Sternenkarten bedeckt waren.

„Der Tempel von Ysmir“, murmelte Solan, seine Stimme voll Ehrfurcht. „Wir haben ihn gefunden.“

„Aber es gibt mehr“, sagte Myria mit einem geheimen Lächeln. „Der Tempel von Ysmir ist nicht nur ein Ort des Wissens. Er ist auch ein Tor zu den Ebenen der Zeit.“

Der Tunnel führte sie tief in die Erde, und bald erreichten sie einen weiten Raum, der von einem schimmernden Sternenlicht durchzogen war. Die Wände des Tempels waren mit Edelsteinen besetzt, deren Licht die Dunkelheit zu zerreißen schien. Doch in der Mitte des Raumes stand ein Altar – ein unheilvoller Anblick.

„Die Dunkelheit hat hier gewütet“, sagte Myria. „Doch der wahre Test steht uns noch bevor.“

„Die Zeitenwelle“, sagte Solan. „Wir haben gehört, dass sie hier verborgen ist. Das Artefakt, mit dem wir durch die Zeit reisen können. Vielleicht ist es der Schlüssel, um die Dunkelheit zu besiegen.“

„Doch der Weg, den wir gehen müssen, wird nicht nur durch uns bestimmt“, fügte Kai hinzu, „sondern durch die Mächte, die hinter der Dunkelheit stehen. Mephos wird uns nicht einfach so durchlassen.“

„Mephos“, wiederholte Lyra. „Der Dunkle Regent.“

„Er ist nicht allein“, sagte Seraphine Veyra, die Visionärin. „Die Schatten um uns sind mehr als nur Dunkelheit. Sie sind die Agenten von etwas viel Größerem.“

„Das Wissen, das wir hier suchen, ist das Wissen der Götter selbst“, sagte Myria. „Und genau das ist es, was Mephos begehrt.“

„Dann müssen wir ihm zuvorkommen“, sagte Kai. „Wir müssen den Altar erreichen und die Zeitenwelle aktivieren. Die Dunkelheit wird uns nicht aufhalten.“

Die Gruppe trat näher an den Altar, ihre Schritte hallten in der Stille des Tempels wider. Doch als sie näher kamen, begannen die Wände zu erzittern, und ein unheimliches Zischen erfüllte den Raum. Es war, als ob der Tempel selbst die Gruppe testete – oder sie in eine Falle locken wollte.

„Haltet euch bereit“, sagte Lyra. „Wir haben es bis hierher geschafft. Jetzt müssen wir es beenden.“

Und als sie die Hand auf den Altar legte, brach der Raum in einem blendenden Licht zusammen, und die Zeitenwelle begann sich zu entfalten. Ein Portal öffnete sich vor ihnen, und sie traten hindurch, nicht wissend, wohin sie die Dunkelheit als Nächstes führen würde.

Der Schrei der Titanen

Der Ort, an dem sie landeten, war eine weite, offene Ebene, die von gewaltigen Mauern und Türmen gesäumt war. „Rom“, murmelte Solan mit weit aufgerissenen Augen. „Wir sind im Jahr 65 v. Chr. – zur Zeit von Pompeius und den ersten Kriegen gegen Mithridates.“

„Die Zeitenwelle hat uns tief in die Geschichte gebracht“, sagte Myria, ihre Augen schmal. „Aber wir sind nicht alleine hier. Die Dunkelheit hat uns verfolgt.“

Am Horizont zogen riesige Armeen auf. Der Klang von Hufen und Kriegstrommeln erreichte ihre Ohren, und die Gruppe konnte die schimmernden Rüstungen der römischen Soldaten und die Stände der mit Feuer bewaffneten Krieger sehen.

„Das ist die Schlacht von Zela“, sagte Solan. „Pompeius wird gleich gegen Mithridates kämpfen. Es ist die Stunde der größten Kriege – und vielleicht auch unserer.“

„Wenn wir diese Schlacht gewinnen, haben wir vielleicht den Schlüssel zur Zukunft“, sagte Kai. „Aber wir müssen uns beeilen. Mephos wird uns hier nicht verschonen.“

Der Krieg tobt auf, und die Gruppe muss entscheiden, ob sie in das Geflecht der Zeit eingreifen oder sich dem dunklen Regent stellen werden, der bereits einen Fuß in diese epische Schlacht gesetzt hat.

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