Kapitel 64: Die Schatten der Vergangenheit

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Kapitel 64: Die Schatten der Vergangenheit

Die Luft im Tempel von Ysmir war dick von ungreifbarer Energie, die sich wie ein schattenhafter Nebel um ihre Körper legte. Jeder Schritt hallte in der unheimlichen Stille wider, als die Gruppe um das Artefakt versammelt stand, dessen leuchtende Oberfläche wie eine lebendige Wunde im Raum pulsierte. Der Moment, den sie seit ihrem ersten Eintauchen in die Zeitenwellen erwartet hatten, war nun da. Doch etwas war anders, etwas in der Welt hatte sich verschoben.

„Das ist nicht die Dunkelheit, die wir kennen“, sagte Kai und starrte auf den Obsidian-Kristall. Seine Hand griff nach dem Schwert, das sich nun, angepasst an diese Zeit, wie ein antikes Schwert aus der Zeit von Alexander dem Großen anfühlte. „Etwas anderes hat diese Zeitenwelle durchzogen. Etwas… Altehrwürdiges.“

„Es fühlt sich an, als ob die Vergangenheit selbst uns beobachtet“, fügte Lyra hinzu und betrachtete das Artefakt, das jetzt ihre Hand an den Armband anzog, der sich so selbstverständlich wie immer an ihrem Handgelenk formte. Es war nun ein kunstvoll gearbeiteter Armband aus glänzendem Silber, der mit Runen bedeckt war, die von einer längst vergessenen Kultur stammten.

„Seht euch das an“, rief Solan, der Historiker der Gruppe. „Dieser Tempel war einst das Herz eines mächtigen Reiches – doch der wahre Herrscher dieser Welt ist längst nicht mehr unter uns. Wir haben es mit einer Macht zu tun, die weit über den menschlichen Verstand hinausgeht.“

Om 25

Seraphine trat näher und schloss die Augen. Ihre Visionen hatten sie auf eine neue Ebene der Erkenntnis geführt. „Es gibt etwas im Nebel, tief in der Geschichte verborgen. Ein Ereignis, das hier und jetzt stattfinden muss – und es wird uns alle betreffen.“

„Wir müssen den Kristall aktivieren“, sagte Lyra entschlossen und trat vor. Ihre Hand legte sich auf die schimmernde Oberfläche des Artefakts, und augenblicklich veränderte sich die Atmosphäre um sie herum. Die Zeit begann sich zu dehnen und zu verformen, und mit einem scharfen Ruck wurde die Gruppe durch die Äonen katapultiert.

Ein Sprung durch die Epochen

Der Wind peitschte durch die kargen Berge von Griechenland. Lyra blinzelte und blickte sich um. Sie stand auf den Hügeln des antiken Sparta, dem Geburtsort der unerschütterlichen Krieger. Die Zeitenwelle hatte sie in die Ära von König Leonidas geführt, dessen Name selbst durch die Jahrhunderte hallte. Um sie herum marschierten die berühmten spartanischen Soldaten in Reihen, geölt und in glänzende Rüstungen gehüllt.

„Wir sind im Jahr 480 v. Chr.“, murmelte Solan, als er die Umgebung erkannte. „Die Perser stehen vor den Toren, und die Spartaner bereiten sich auf die berühmte Schlacht bei den Thermopylen vor.“

„Die Dunkelheit…“, flüsterte Myria, „sie folgt uns überallhin. Sie hat sich verändert, aber sie ist immer noch hier.“

„Die Dunkelheit ist keine Bedrohung von außen“, sagte Seraphine, „sie ist der Schatten, der immer mit uns war. Und der Kristall hat uns hierher geführt, weil wir etwas über die wahre Natur des Krieges erfahren müssen.“

Der Boden unter ihren Füßen bebte, als die Schläge von Trommeln und das Aufeinandertreffen von Schilden die Luft erfüllten. Eine goldene Rüstung funkelte im Dämmerlicht, und aus den Reihen der spartanischen Krieger trat der legendäre König Leonidas hervor. Mit festem Blick und einem Schwert in der Hand starrte er die Gruppe an.

„Ihr seid nicht aus dieser Zeit“, sagte er mit einer Stimme, die wie das Donnern des Krieges klang. „Was wollt ihr hier?“

„Wir suchen das wahre Wissen, das uns den Weg weist“, antwortete Kai, seine Stimme fest, aber nicht feindlich. „Die Dunkelheit, die uns verfolgt, kann nur hier und jetzt in dieser Zeit verstanden werden.“

„Die Dunkelheit?“, wiederholte Leonidas, und ein Schatten flog über sein Gesicht. „Die wahre Dunkelheit ist der Krieg, der den freien Willen zerstört. Aber sie ist auch ein Lehrer, der uns zeigt, was wir opfern müssen, um die Freiheit zu bewahren. Wenn ihr diese Lektion lernen wollt, müsst ihr euch der Schlacht stellen.“

„Wir müssen in die Zeit des Krieges eintauchen, um die Dunkelheit zu verstehen“, sagte Seraphine mit Entschlossenheit. „Aber nicht als Krieger. Als diejenigen, die das Gleichgewicht der Zeiten halten.“

„Komm mit mir“, sagte Leonidas und winkte sie an, die Stufen eines steinernen Altars hinauf. „Ich werde euch eine Wahrheit zeigen, die tief in der Geschichte verwurzelt ist, aber erst jetzt bereit ist, das Licht zu sehen.“

Der Ursprung der Dunkelheit

Der Altar war alt, viel älter als alles, was Lyra kannte. Und doch war er der Ursprung von allem, was sie suchten. Der König kniete nieder und begann, in einer alten, fast vergessenen Sprache zu sprechen. Die Worte flossen wie ein Strom aus der Zeit und verwoben sich mit den Vibrationen der Erde selbst.

„Die Dunkelheit ist kein Feind, der von außen kommt. Sie ist das, was aus den Tiefen der Geschichte geboren wurde – eine Macht, die in jeder großen Schlacht, in jedem verlorenen Leben, in jedem Verrat und in jedem Opfer liegt. Wenn ihr sie besiegen wollt, müsst ihr verstehen, dass sie Teil von euch ist“, sagte Leonidas und blickte zu Lyra.

„Aber warum hier und warum jetzt?“, fragte sie, als sie das Gewicht der Wahrheit spürte. „Warum diese Schlacht?“

„Weil das, was hier geschieht, nicht nur die Spartaner betrifft. Der Krieg wird den Verlauf der Welt verändern. Und ihr, Fremde, habt einen Teil dieser Geschichte betreten.“

Kai trat vor und legte eine Hand auf das Artefakt an seinem Gürtel, das sich nun in eine alte, goldene Medaille verwandelt hatte. „Das Artefakt… es verbindet uns mit der Dunkelheit. Es hat uns hierher geführt, um etwas zu lernen, das über den Krieg hinausgeht.“

„Ja“, sagte Leonidas, „der wahre Kampf ist nicht der Krieg, sondern das, was in euren Herzen ist. Ihr seid hier, um zu erfahren, dass der wahre Sieg darin liegt, nicht gegen die Dunkelheit zu kämpfen, sondern mit ihr zu leben.“

Die Zeit verflog, und während sie die Lektion des Königs empfingen, spürte Lyra, wie sich die Energie des Artefakts intensivierte. Ein tiefer Riss in der Zeit öffnete sich vor ihnen, und mit einem einzigen, schnellen Schritt wurde die Gruppe erneut durch die Äonen katapultiert.

Rückkehr in die Dunkelheit

Das nächste Mal, als sie wieder auf den Boden traten, war die Welt um sie herum nicht die von antiken Kriegern. Es war ein düsterer, vergessener Ort, der von einer bleiernen Dunkelheit verschlungen wurde. Der Obsidianwald stand wieder vor ihnen – doch er hatte sich verändert. Die Bäume, die zuvor so fest und starr waren, hatten nun Augen. Dunkle, glühende Augen, die in die Gruppe starrten.

„Die Dunkelheit hat uns wieder eingeholt“, sagte Myria, ihre Nebelkräfte prasselten an den Rändern der dunklen Bäume ab. „Es ist nicht mehr nur ein Ort. Es ist ein Wesen.“

„Das wissen wir jetzt“, sagte Solan, „aber die Wahrheit, die wir hier lernen, wird uns der Dunkelheit näher bringen. Wir müssen uns ihr stellen – nicht als Feinde, sondern als Teil der Zeit selbst.“

Lyra straffte sich. „Und das wird der wahre Schlüssel zum Sieg sein. Die Dunkelheit ist kein Feind. Sie ist die Zeit.“

Das Artefakt in ihrer Hand begann erneut zu pulsieren, als der Obsidianwald, die Dunkelheit und die Geschichte zusammenkamen und eine neue Zeitenwelle in Bewegung setzten.

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