Kapitel 63: Die Schatten des Obsidianwaldes

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Kapitel 63: Die Schatten des Obsidianwaldes

Die Zeitenwelle hatte sie erneut erfasst, doch die Dunkelheit war tief und greifbar. Nachdem sie den geheimnisvollen Garten von Sahran verlassen hatten, standen sie nun im Obsidianwald – einem Ort, den sie in einer anderen Zeit schon einmal betreten hatten, jedoch sah er jetzt anders aus. Der Wald wirkte noch düsterer, die schwarzen Bäume schimmerten nicht mehr in einem geheimnisvollen Licht, sondern absorbierten die Energie der Welt um sie herum. Die Luft war kalt, drückend und von einer ständigen, fiebrigen Präsenz durchzogen.

„Das… ist nicht derselbe Wald wie beim letzten Mal“, murmelte Solan, als er die Umgebung musterte. „Die Bäume, sie sind… lebendig, in einer anderen Weise. Und der Boden unter unseren Füßen fühlt sich anders an.“

Kai, mit der Hand immer noch an der Waffe, nickte. „Das ist die Dunkelheit. Sie hat den Wald verändert. Aber es ist nicht nur das: die Luft ist dick vor Energie. Etwas hat diesen Ort durchzogen und verändert, und wir müssen herausfinden, was es ist.“

„Eine alte Macht“, flüsterte Lyra und strich nachdenklich über das Armband an ihrem Handgelenk, das sich wie immer perfekt an die jeweilige Zeit anpasste – jetzt in Form eines silbernen Armbands, der in der Dunkelheit schimmerte. „Es fühlt sich an wie… wie eine Erinnerung an etwas, das tief in der Geschichte verwurzelt ist. Etwas, das wir kennen, aber nicht mehr verstehen.“

„Die Dunkelheit hier ist stärker als alles, was wir je gesehen haben“, sagte Myria, ihre Stimme von der Macht des Waldes umhüllt. Ihre dunklen Augen schimmerten, als sie die Nebel heraufbeschwor, die wie ein sanfter Schleier um die Gruppe zogen, um sie zu schützen. Doch die Nebel schienen gegen die Macht des Waldes ankämpfen zu müssen, als ob sie hier nur eine flüchtige Erscheinung wären.

Om 25

„Es wird schwieriger werden, den richtigen Weg zu finden“, sagte Seraphine, die ihre Hand an der Stirn hielt, als sie eine Vision empfing. „Ein großer Kampf wird uns hier erwarten. Der Obsidianwald ist nicht einfach ein Ort der Dunkelheit – er ist ein Ort, an dem die Götter selbst ihre Macht verlieren könnten.“

„Dann sollten wir uns beeilen“, sagte Kai entschlossen. „Es gibt etwas hier, das wir brauchen, und es ist nicht gut, in dieser Dunkelheit zu verweilen.“

Langsam bahnten sie sich ihren Weg durch den dichten Wald. Überall um sie herum hörten sie das leise Rauschen der Bäume, das fast wie flüsternde Stimmen klang. Manche von ihnen hatten die Form von Gesichtern – gezeichnete, verzerrte Gesichter, die aus dem schwarzen Obsidian herauszubrechen schienen, als ob der Wald selbst versuchte, sich gegen ihre Anwesenheit zu wehren.

„Es ist, als ob dieser Wald uns herausfordert“, sagte Sira und verwandelte sich mit einem geschmeidigen Bewegungszug in eine schwarze Katze, um geschickt zwischen den Bäumen hindurch zu schlüpfen. „Es gibt einen Pfad, aber er ist von Illusionen durchzogen. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen.“

Der Pfad führte sie tiefer in den Wald, zu einem von Dämmerung umhüllten Tempel. Der Bau war aus dem gleichen schwarzen Obsidian wie die Bäume errichtet und war von tiefen Rissen durchzogen. Alte Ruinen standen wie verblasste Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, und der Eingang war von Flammen umgeben, die nicht brannten, sondern in einer seltsamen, geisterhaften Bläue flimmerten.

„Das ist der Tempel von Ysmir“, sagte Seraphine, ihre Stimme von Ehrfurcht durchzogen. „Er wurde von den ersten Völkern der Dunkelheit gebaut, die die Sonne zu bezwingen suchten. Ysmir… ein Name, der in den vergessenen Mythen der Götter lebt. Hier ruhen die letzten Geheimnisse der Götter selbst.“

„Und das Artefakt, das wir suchen, muss hier sein“, sagte Kai und trat voran, während er sich auf die dunklen Flammen konzentrierte. „Aber es gibt einen Preis zu zahlen. Die Götter… sie haben ihre eigenen Regeln.“

„Wir kennen den Preis“, sagte Lyra ruhig. „Doch wir müssen den Preis zahlen, wenn wir die Dunkelheit besiegen wollen.“

Doch bevor sie eintreten konnten, ertönte eine Stimme, die aus den Tiefen des Tempels zu kommen schien. „Wer in den Tempel von Ysmir tritt, muss die Wahrheit über sich selbst erkennen – und die Dunkelheit in seinem eigenen Herzen konfrontieren. Nur dann werdet ihr das Wissen finden, das euch weiterführt.“

„Wir sind bereit“, sagte Kai, seine Stimme fest. „Die Dunkelheit in uns zu konfrontieren ist das, was wir schon längst gelernt haben.“

Die Gruppe betrat den Tempel, und sofort wurden sie von einem grellen Licht geblendet, das den Raum erleuchtete. Sie standen nun in einer weiten, hallenartigen Kammer, in deren Zentrum ein Altar aus reinem Obsidian stand. Auf ihm lag ein schimmerndes Artefakt – ein Kristall, der das Licht in alle Richtungen zerstreute und dabei die Dunkelheit um sie herum in ein fast lebendiges, atmendes Etwas verwandelte.

„Das Artefakt“, sagte Lyra, als sie sich ihm näherte. „Aber was wird uns nun offenbart?“

Plötzlich begann der Kristall zu pulsieren, und die Luft um sie herum schien sich zu verdichten. „Die Dunkelheit ist kein Fremder“, sagte eine Stimme, die sowohl innen als auch außen zu kommen schien. „Sie existiert in jedem von euch. Ihr könnt sie nicht besiegen, wenn ihr sie nicht in euch selbst akzeptiert.“

„Was bedeutet das?“ fragte Solan, als er auf die geheimnisvollen Runen blickte, die sich in den Wänden des Tempels entfalteten.

„Die Dunkelheit ist Teil der Zeit selbst“, sagte eine weitere Stimme, die wie ein Wispern durch die Wände glitt. „Und sie ist nicht zu fürchten, sondern zu verstehen. Nur wer sie begreift, wird das wahre Wissen erlangen.“

„Was… was ist das wahre Wissen?“ fragte Sira, die sich wieder in ihre menschliche Form zurückverwandelt hatte.

„Das wahre Wissen ist der Schlüssel zur Zeit selbst“, sagte die Stimme. „Es gibt keine Vergangenheit ohne Dunkelheit, keine Zukunft ohne Licht. Ihr habt die Wahl, euch dem zu stellen – oder zu scheitern.“

Das Licht um sie herum verdoppelte sich, und plötzlich erschien eine Vision – ein Bild der Zukunft, das sie alle in den Bann zog. Sie sahen Kriege, Zerstörung und das Aufeinandertreffen von Armeen, die aus allen Epochen der Geschichte stammten. Es war der Moment, an dem die Dunkelheit die Welt ergreifen würde.

„Es ist der Höhepunkt der Zeit“, sagte Seraphine, ihre Augen weit geöffnet, als sie das Schicksal erblickte. „Und wir müssen uns dem stellen, was uns erwartet.“

„Dann ist es Zeit, zu handeln“, sagte Kai. „Kommen wir, Freunde. Der wahre Kampf beginnt jetzt.“

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