Kapitel 29: Die Prüfungen der Seele
Lyra, Solan und Kai traten weiter in den Raum des Wissens, der sich in seiner gewaltigen Stille und mit den schier unendlich vielen Regalen, die bis zum Horizont reichten, in eine andere Dimension des Wissens verwandelte. Der Fluss des Wissens schien in jeder Ecke zu flimmern und sich mit den alten Schriften zu verbinden, als würde der Raum selbst leben. Doch unter dieser majestätischen Fassade lag eine Bedrohung – unsichtbar und doch spürbar. Die Prüfung hatte begonnen.
Als sie sich dem Zentrum des Raums näherten, wurden ihre Kleider und Waffen erneut verändert. Lyra spürte, wie ihre Rüstung sich mit den Symbolen einer längst vergessenen Zivilisation verzierte – die Linien und Verzierungen erinnerten sie an die alten Minoer, die sie einst in einer längst vergangenen Zeit studiert hatte. Die Klinge an Kais Seite verwandelte sich in ein elegantes Schwert mit goldenen Inschriften, die sich zu einem mystischen Symbol vereinten. Solans Kleidung nahm das Aussehen eines Gelehrten aus der Zeit der frühen Römer an, das Wissen und die Macht vergangener Zivilisationen verkörpernd.
Der Raum vor ihnen begann sich zu verändern, als die gewaltige, steinerne Tür, die sie betreten hatten, sich von innen mit einem unheilvollen, pulsierenden Licht füllte. „Die Prüfungen beginnen jetzt“, sagte der Wächter der Bibliothek, dessen Stimme wie ein fernes Murmeln die Zeit durchbrach.
„Bereitet euch vor“, fügte er hinzu und verschwand in den Schatten. Der Raum, in dem sie standen, begann sich in einen dichten Nebel zu hüllen, der die Luft schwer und undurchsichtig machte. „Die Prüfungen der Seele verlangen, dass ihr euch den tiefsten Ängsten und geheimsten Wünschen stellt“, ertönte seine Stimme erneut, diesmal aus allen Richtungen.
„Lasst uns nicht zurückweichen“, sagte Lyra entschlossen und griff nach Kais Hand. „Egal, was kommt, wir stehen das zusammen durch.“
Solan nickte ruhig, aber auch er konnte die Schwere der Situation spüren. Die Prüfungen, die nun auf sie warteten, würden sie bis an ihre Grenzen führen.
Plötzlich verschwand der Nebel und gab den Blick auf eine riesige Halle frei. Die Wände waren mit glänzendem Marmor bedeckt, und der Boden war von flimmernden, goldenen Runen durchzogen. Am Ende des Raumes stand ein gewaltiger Altar, der inmitten eines gewaltigen Kristallschreins emporragte. Der Raum schien von einer unheimlichen Energie durchzogen zu sein.
„Das ist der Prüfungsraum“, sagte Solan, der die alte Struktur sofort erkannte. „Hier wird das wahre Wissen des Universums erlangt. Doch bevor wir es erreichen können, müssen wir uns unseren inneren Dämonen stellen.“
Kaum hatte er das gesagt, begann der Raum zu vibrieren. Eine gewaltige Stimme hallte durch den Raum, und die Atmosphäre war von einer unheimlichen Dichte durchzogen. „Die erste Prüfung ist die Prüfung des Wissens“, erklang die Stimme, die wie das Rauschen eines Wasserfalls klang. „Nur der, der die Wahrheit erkennen kann, wird weitergehen dürfen.“
In diesem Moment bemerkte Lyra ein seltsames Artefakt, das an ihrem Handgelenk erschien. Es war ein schimmernder Armband, der in der Form eines uralten Symbols, das sie nur aus ihren Forschungen über Atlantis kannte, angefertigt war. Sie konnte das Artefakt nur als die „Zeitenwelle“ erkennen, das mystische Relikt, das in der Lage war, Zeit und Raum zu durchbrechen. Es war ihre Verbindung zu den vergangenen und zukünftigen Äras, und es begann zu pulsieren.
„Was bedeutet das?“, fragte Kai, als er das Artefakt an ihrem Handgelenk erblickte. Doch bevor sie antworten konnte, erschien vor ihnen ein riesiger Spiegel – er war in der Mitte des Raumes und flimmerte wie das Wasser eines stillen Sees. In diesem Spiegel erschien ein Bild: Lyra, die inmitten einer zerstörten Stadt stand. „Deine Prüfung“, sagte die Stimme. „Sieh dir die Zukunft an. Was wirst du tun, wenn alles, was du jemals geliebt hast, zerstört ist?“
Lyra trat vor, die Augen fest auf das Bild gerichtet. Ihre Gedanken rasten, als sie die Ruinen sah, in denen sie einst geforscht und gekämpft hatte. „Ich werde es nicht zulassen“, murmelte sie zu sich selbst, doch die Bilder des Spiegels schienen sich zu ändern, zu flimmern, als ob sie die Zukunft beeinflussten.
„Glaubst du wirklich, du kannst diese Zukunft ändern?“, hallte die Stimme erneut, und das Bild der zerstörten Stadt verzerrte sich, bis es zu einer Vision von Atlantis wurde, das unter den Wellen versank. Die Bilder flimmerten und tanzten vor ihren Augen, die Fragen wurden lauter, aber sie wusste, dass es kein Zurück gab.
„Ich werde alles tun, um das zu verhindern“, sagte sie schließlich, ihre Stimme fest. Die „Zeitenwelle“ am Handgelenk begann stärker zu pulsieren, und eine goldene Aura umgab sie. Ein leuchtendes Band verband sie mit dem Wissen der Welt und der Geschichte.
„Du hast die erste Prüfung bestanden“, erklang die Stimme, die nun in den Hallen der Bibliothek widerhallte. „Die zweite Prüfung wird dich mit den tiefsten Ängsten konfrontieren.“
Die Luft um sie begann sich zu verflüssigen, und bevor sie reagieren konnte, wurde sie in ein anderes Bild hineingezogen.
In diesem neuen Raum stand Lyra, allein und inmitten einer feindlichen Armee, die sie von allen Seiten umzingelte. Ihre Handgriff den Dolch, doch als sie zuschlagen wollte, blieb sie wie gelähmt. Der Gedanke, ihre Freunde im Stich zu lassen, ließ sie zögern.
„Deine größte Angst, Lyra“, flüsterte eine vertraute Stimme, die plötzlich von überall kam. „Du bist allein. Ohne deine Freunde wirst du scheitern.“
„Nein“, rief sie aus, „ich bin nie allein. Wir sind immer zusammen.“ Ihre Hand umklammerte den Dolch fester, und mit einem mutigen Schritt vorwärts durchbrach sie die Illusion. Der Raum zerbrach, und sie war wieder bei ihren Gefährten.
„Die zweite Prüfung ist ebenfalls bestanden“, sagte die Stimme zufrieden. Doch sie war sich bewusst, dass der wahre Test noch bevorstand.
Solan und Kai hatten ihre eigenen Prüfungen durchlebt, und jeder von ihnen hatte auf seine Weise einen tiefen Einblick in die eigene Seele erhalten. Doch Lyra wusste, dass sie noch nicht am Ziel waren. Der Altar vor ihnen begann zu leuchten, und das Buch des Wissens, das sie suchten, erschien in der Mitte des Raumes.
„Jetzt kommt die wahre Herausforderung“, sagte Solan, als er das leuchtende Buch betrachtete. „Die Quelle des Wissens wird nicht leicht zugänglich sein. Doch mit der „Zeitenwelle“ an deiner Seite können wir die letzte Prüfung bestehen.“
„Dann lasst uns voranschreiten“, sagte Kai, der das Schwert in der Hand hielt, das ihm in der neuen Zeit angepasst worden war. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Mit einem letzten Blick auf den Altar und das mystische Buch betraten sie den finalen Raum, in dem das wahre Wissen wartete – und mit ihm die Antworten auf Fragen, die sie sich nie zu stellen gewagt hätten.