Kapitel 24: Der Fluss der Epochen

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Lesedauer 4 Minuten

Kapitel 24: Der Fluss der Epochen

Der Fluss, der sich unaufhörlich durch die Zeit schlängelte, war nicht länger nur eine Grenze zwischen den Epochen, sondern schien sich in eine lebendige Landkarte der Geschichte zu verwandeln. Lyra spürte, wie sich die Landschaft um sie herum immer wieder verwandelte – sie war es gewohnt, dass die Zeit sie in die Vergangenheit und Zukunft entführte, doch diesmal war es anders. Die Übergänge zwischen den Zeitebenen schienen fließend, fast greifbar, als könnte sie die Zeit selbst berühren.

„Sie sind schon hier“, sagte Kai leise, seine Augen suchten den Horizont. „Die anderen… sie spüren den Fluss genauso wie wir.“

„Wir müssen uns beeilen“, sagte Solan, und Lyra konnte sehen, wie die Sorgenfalten auf seiner Stirn tiefer wurden. „Die Zeit ist ein Rausch, der uns mitreißt. Aber wir müssen den Fluss nutzen, um das Artefakt zu finden und… die Wahrheit zu erlangen.“

Lyra nickte entschlossen und spürte das pulsierende Artefakt um ihren Hals. Es war ein Band aus unsichtbarer Energie, das sich bei jeder Bewegung anpasste – es war nun ein filigranes Medaillon, das sanft in ihrem Nacken lag. Jeder Kontakt mit dem Artefakt schien Lyra mit der Geschichte zu verbinden, als könnte sie mit einem einzigen Gedanken die Geheimnisse der alten Welten durchdringen. Doch die Zeit wendete sich, und die Verbindung wurde instabil. Sie wusste, dass sie nicht nur das Artefakt finden, sondern auch ein tieferes Verständnis von Zeit und Wahrheit erlangen musste.

„Solan, hast du eine Ahnung, wo wir landen könnten?“ fragte Lyra, während sie eine Hand in das Wasser des Flusses tauchte. Ein kaltes, schneidendes Gefühl durchzuckte ihren Körper, als das Artefakt in ihrer Hand warm wurde.

„Die Antwort liegt im Fluss selbst“, sagte Solan und schloss die Augen, als ob er die Strömung der Geschichte mit seinen Gedanken einfangen wollte. „Wenn wir uns auf das Artefakt verlassen, führt es uns zu den wahren Wurzeln des Wissens. Wir müssen der Zeit lauschen.“

Om 25

Plötzlich öffnete sich der Raum um sie herum. Es war, als ob sie auf den Punkt einer Unendlichkeit zuglitten, als der Fluss der Zeit die ganze Landschaft veränderte. Lyra und ihre Gefährten fanden sich in einer anderen Ära wieder. Der Fluss hatte sie an das Ufer einer riesigen, von goldenen Türmen flankierten Stadt gebracht.

„Das ist es“, flüsterte Lyra und sah sich um. Die Gebäude der Stadt, deren Architektur in goldene, fast schwebende Strukturen gehüllt war, erinnerten an das Atlantis, das sie in der Vision des Flusses gesehen hatte. Doch diese Stadt war lebendig, nicht von der Zeit verschlungen. Sie war das Atlantis, bevor es zerstört wurde.

„Willkommen in der Hauptstadt von Mu“, sagte Solan und blickte auf die mystische Stadt, die nun vor ihnen aufragte. „Die Zivilisation von Mu… Die vergessene Heimat vieler Geheimnisse, von denen nur die weisesten Gelehrten gesprochen haben. Hier wird das Wissen der ganzen Welt zusammengehalten, und hier müssen wir das Artefakt finden.“

Kai strich sich über den Bart, seine Augen funkelten. „Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die Zeit sich hier verändert hat. Wir sind hier nicht nur wegen der Stadt. Wir sind hier, weil der Fluss uns zu einem bestimmten Moment führt.“

Der Fluss selbst schien die Stadt zu durchziehen, er war nicht nur ein Fluss aus Wasser, sondern ein Fluss aus Wissen, in dem sich Erinnerungen und Visionen stauten. Über ihnen türmten sich die goldenen Tempel von Mu, deren Silhouetten fast unheimlich in den Dämmerhimmel ragten.

„Seht“, rief Lyra, als sie etwas in der Ferne erblickte – ein Monument, das inmitten der Stadt emporragte. „Das Artefakt muss dort sein.“

Doch als sie näher kamen, spürten sie, wie sich die Landschaft um sie herum veränderte. Der Fluss der Zeit hatte eine unvorhergesehene Strömung angenommen. Die Kleidung von Lyra und den anderen, die zuvor so perfekt zum antiken Atlantis gepasst hatte, wandelte sich in prächtige Roben, die aus feinstem Seidenstoff gewebt und mit Gold- und Silberfäden durchzogen waren. In ihren Händen, fast als ob sie für den Augenblick geschaffen worden wären, hielten sie antike Waffen, die mit den Symbolen längst vergessener Götter graviert waren.

„Wir sind in Mu angekommen… wirklich angekommen“, murmelte Solan. „Und diese Waffen… sie sind mit der Zeit verwoben. Sie spiegeln den Moment wider, in dem wir uns befinden. Jeder von uns trägt jetzt ein Artefakt.“

In diesem Moment spürte Lyra eine Veränderung in ihrem Hals – das Artefakt, das zuvor ein Medaillon gewesen war, hatte sich in einen filigranen Armband verwandelt, der sich perfekt an ihren Arm schmiegsam legte. Es war fast als wäre er ein Teil von ihr. Sie wusste sofort, dass dies das Artefakt war, das sie suchten.

„Jetzt haben wir die Macht, die Zeit zu beeinflussen“, sagte Lyra entschlossen. „Wir müssen die Vergangenheit von Mu entdecken und den Fluss verstehen, bevor er uns weiter in die Zukunft treibt.“

Doch bevor sie weitergingen, vernahm Lyra ein Flüstern in der Luft, das so alt war, dass es fast wie der Wind der Zeit selbst klang.

„Der Wächter wird kommen“, sagte eine Stimme, die wie ein Echo der fernen Vergangenheit klang. „Euer Weg wird von ihm versperrt.“

„Er ist der Fluss“, flüsterte Solan und nahm die Klinge, die sich aus der Zeit selbst geformt hatte. „Der Wächter ist die Zeit, die euch verfolgt. Und nur mit dem Artefakt werdet ihr gegen ihn bestehen können.“

Die Stadt von Mu war in der Vergangenheit und der Zukunft gleichzeitig gefangen. Lyra wusste, dass sie die Wahrheit über die wahren Ursprünge von Atlantis und Mu entdecken musste, bevor sie weiterreisen konnten. Der Fluss würde sie weitertragen, aber der Wächter würde sie verfolgen.

Und in der Ferne, verborgen in den Mauern der Stadt, wusste Lyra, dass sie auf den ersten Moment warten musste, in dem sich die Zeit wieder spalten würde. Dann und nur dann konnte sie das wahre Wissen erlangen und den Wächter besiegen.

Die Reise hatte gerade erst begonnen.

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