Kapitel 19: Der Ruf der Vergangenheit
Der Boden unter ihren Füßen bebte, als das gleißende Licht langsam verblasste und die Welt sich vor ihren Augen in eine geisterhafte Welle aus flimmerndem Staub und Nebel hüllte. Die prächtigen goldenen Hieroglyphen, die einst die Mauern von Atlantis zierten, zerflossen wie Tinte in Wasser und hinterließen eine weite, endlose Wüste. Der Wind, der feinen Sand aufwirbelte, war kalt und trug eine spürbare Schwere mit sich, als wäre die Luft selbst von der Geschichte durchzogen.
Lyra, Solan und Kai standen wie verloren inmitten dieser unwirklichen, sandigen Leere. Ihre Kleidung hatte sich der neuen Umgebung angepasst: Lyra trug eine glänzende Rüstung aus fein gearbeiteten Metallplatten, deren goldene Verzierungen die hohe Kunstfertigkeit antiker Handwerksmeister verrieten. Ihr Kurzschwert hing an ihrem Gürtel – elegant, aber tödlich in seiner Form. Sie spürte das vertraute Pulsieren des goldenen Armbands an ihrem Handgelenk, dessen Leuchten sich im Einklang mit ihrem Herzschlag verstärkte.
„Das ist Atlantis“, murmelte Kai, während sein Blick über die verblassten Ruinen schweifte, die wie die Skelette einer längst vergessenen Ära aus dem Sand ragten. „Aber… nicht so, wie wir es verlassen haben.“
Solan kniete nieder und fuhr mit den Fingern über eine zerbrochene Säule, deren Oberfläche mit verwitterten Inschriften bedeckt war. „Dieser Ort… fühlt sich verzerrt an“, sagte er nachdenklich. „Es ist, als hätte jemand die Zeit selbst hier verwundet.“
Lyra richtete ihren Blick auf den Horizont, wo die Ruinen in den Himmel überzugehen schienen. „Die Zeitenwelle hat uns hierhergeführt“, sagte sie leise. „Aber etwas hat das Gleichgewicht gestört. Das hier ist nicht mehr Atlantis – zumindest nicht das Atlantis, das wir kennen.“
Plötzlich durchbrach ein gellender Ruf die Stille, und eine dunkle Gestalt tauchte am Horizont auf. Der Mann, der sich ihnen näherte, war von imposanter Statur. Seine Rüstung, verziert mit feinen Mustern, funkelte im Sonnenlicht, und seine Bewegungen waren fast unheimlich geschmeidig. Als er stehen blieb, wirkte er wie ein Wesen, das gleichzeitig der Vergangenheit und der Gegenwart entstammte.
„Ihr habt die Zeit betreten, die nicht euch gehört“, sprach er mit einer Stimme, die wie Donnerschläge rollte. „Ich bin Aric Darvhan, Hüter des Schattens. Atlantis ist mehr als nur ein Ort; es ist ein Nexus, ein Herz der Zeit. Und ihr habt das Gleichgewicht gestört.“
Lyra trat einen Schritt vor, ihre Hand ruhte fest auf dem Griff ihres Schwertes. „Wir sind hier, um Antworten zu finden“, erwiderte sie mit entschlossener Stimme. „Wenn Atlantis eine Verbindung zur Zeit hat, dann ist es unsere Pflicht, sie zu verstehen – und zu schützen.“
Aric musterte sie mit durchdringendem Blick, seine Augen verweilten auf dem goldenen Armband an ihrem Handgelenk. „Dieses Artefakt“, begann er, „ist der Schlüssel zu Kräften, die ihr noch nicht begreift. Aber jede Macht hat ihren Preis. Wenn ihr weitergeht, werdet ihr mehr als nur Antworten finden.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab und verschwand, als sei er von der Erde selbst verschluckt worden. Nur ein leises Wispern blieb zurück, das in den Ruinen widerhallte.
„Was hat er gemeint?“ fragte Kai, während sein Blick der Stelle folgte, an der Aric gestanden hatte.
„Dass wir das Gleichgewicht der Zeit wahren müssen“, antwortete Lyra, „und dass wir die Konsequenzen tragen müssen, egal, was geschieht.“
Die Gruppe setzte ihren Weg fort, tiefer hinein in die gespenstischen Überreste von Atlantis. Zwischen zerbrochenen Statuen und eingestürzten Mauern fanden sie eine massive Steintafel, die mit uralten Symbolen bedeckt war. Solan kniete nieder und begann, die Gravuren zu entschlüsseln.
„Das ist… seltsam“, murmelte er nachdenklich. „Diese Inschriften erzählen eine ganz andere Geschichte von Atlantis, eine, die sich von allem unterscheidet, was wir bisher wussten.“
„Dann müssen wir die Wahrheit herausfinden“, sagte Lyra, während das goldene Armband auf die Symbole fiel und sie in ein sanftes, geheimnisvolles Licht tauchte. „Atlantis birgt immer noch Antworten. Wir müssen sie nur finden.“
Der Wind nahm zu, und ein tiefes Rauschen durchbrach die Stille. Die Zeit selbst schien zu flüstern, als die Gruppe weiter in die Dunkelheit der Ruinen vordrang.