Kapitel 126: Der Nebel der Zeiten

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Lesedauer 5 Minuten

Kapitel 126: Der Nebel der Zeiten

Der Nebel begann sich zu lichten, als Lyra, Kai und Solan sich durch die verwüsteten Straßen von Jerusalem bewegten, die sich wie ein verschlungener Traum vor ihnen ausbreiteten. Doch je länger sie gingen, desto mehr spürten sie, dass dieser Ort ein Schatten seiner einstigen Selbst war. Die vertrauten Konturen der alten Stadtmauern, die einst so lebendig waren mit der Geschichte von König David und Salomon, schienen nun von einer dunklen Hand gezeichnet. Als sie die zerstörten Ruinen passierten, wusste Kai, dass diese Stadt, dieses Jerusalem, niemals wieder so sein würde, wie es einst war.

„Die Zeit hat diese Stadt nicht nur verändert, sie hat sie entstellt“, murmelte Solan, als er an einer zerfallenen Mauer anhielt und die Inschriften betrachtete. „Sie wurde nicht nur von der Geschichte heimgesucht, sondern von etwas, das tiefer geht. Irgendetwas hat hier die Zeit selbst korrumpiert.“

Lyra zog ihre Umhänge fester um sich, den Blick fest auf das Tor zur alten Tempelanlage gerichtet. „Vielleicht ist es mehr als nur die Zeit“, sagte sie, während sie den Blick über die Mauern der Stadt schweifen ließ. „Vielleicht ist es auch das, was in den Ruinen des Wissens und der Macht zurückgelassen wurde.“

„Das Gefühl, hier zu sein, ist… anders“, ergänzte Kai, der eine kurze Pause einlegte, um die Schatten zu spüren, die die Straßen durchzogen. „Es ist, als ob sich alle Spuren von Zivilisation und Licht ins Dunkel zurückgezogen hätten.“

Der Gedanke, dass das, was sie hier in der Vergangenheit entdeckt hatten, nicht nur historisch, sondern auch mystisch von Bedeutung war, lag schwer auf ihren Schultern. Und so setzten sie ihre Reise fort, entlang der verlassenen Gassen, die von den Narben der Vergangenheit und der dunklen Präsenz des Nebels geprägt waren. Die Straßen, die vor Jahren von Pilgern, Händlern und Gelehrten bewohnt waren, waren jetzt leer und unheilvoll.

„Komm, wir müssen tiefer in die Stadt vordringen“, sagte Lyra mit entschlossener Miene, als sie die ersten Schritte in die Innere der Stadt setzte.

Doch als sie sich dem alten Palast von Al-Mustansir näherten, spürten sie eine neue Präsenz, die ihnen wie ein Dröhnen in der Brust lag. Eine Dunkelheit, die aus den Ruinen kroch und die Geschichte selbst zu verdrehen schien. Solan begann leise zu murmeln, als er versuchte, die wirren Inschriften zu entschlüsseln, die er dort entdeckte.

Om 25

„Ich erinnere mich an diesen Ort, an diesen Palast. Doch jetzt…“ Solans Stimme zitterte. „Es ist nicht mehr der gleiche Ort. Etwas hat sich verändert, und es ist nicht nur der Nebel.“

Sie betraten die Reste des einst prunkvollen Palasts, und Lyra konnte die dunkle Energie in der Luft förmlich spüren. In den Schatten der einst noblen Hallen war das Wissen, das hier versammelt war, zu einem vergifteten Strom geworden. Die Spuren des Wissens und der Weisheit, die dieser Ort beherbergte, waren nun von einer finsteren Magie durchzogen.

„Etwas ist hier, das uns beeinflusst“, flüsterte Solan. „Etwas, das nicht nur aus der Vergangenheit stammt, sondern auch die Gegenwart und die Zukunft in den Nebel hüllt.“

„Aber was?“ fragte Lyra, als sie ihre Hand am Schwertgriff hielt und die Ruinen noch genauer musterte. „Was hat diese dunkle Macht in die Welt gebracht?“

„Ich fürchte, wir müssen die Wahrheit annehmen“, sagte Kai, als er eine alte, mit Staub bedeckte Schriftrolle auf dem Boden entdeckte. „Diese Geschichte ist nicht nur die uns bekannte Geschichte. Es gibt mehr als nur den Verlauf von Kriegen und Herrschern. Es gibt eine andere Wahrheit, die von den alten Mächten, die in den Schatten lauern, verborgen gehalten wird.“

Der Raum, in dem sie standen, war von brüchigen Mauern umgeben, und die Luft war schwer von einem Fluch, der die Gebäude durchzogen hatte. Ihre Reise war nicht mehr nur eine Reise durch die Zeit – sie waren auf der Jagd nach den Ursprüngen von etwas viel Tieferem.

Der Krieg von Agincourt, der die Gefährten in der letzten Zeit verschlungen hatte, schien plötzlich bedeutungslos, als sie weiter in den Nebel der Zeit vordrangen. Doch der Nebel führte sie weiter. Als sie durch die Wirren der Geschichte schreiteten, fanden sie sich auf den Schlachtfeldern des Mittelalters wieder, wo die ersten Wellen von Seuchen und Kriegen Europa heimsuchten.

Sie standen nun mitten im Schicksalsmoment der Schlacht von Agincourt. Doch die Realität dieser Schlacht war nicht die, die sie aus den Geschichtsbüchern kannten. Die englischen und französischen Armeen, die sich einst auf diesem Schlachtfeld gegenüberstanden, waren von seltsamen, abnormen Kreaturen begleitet, die wie Schatten über die Krieger hinwegzogen.

„Es fühlt sich an, als würde das Schicksal hier einen anderen Verlauf nehmen“, sagte Kai, während er über das düstere Schlachtfeld blickte. „Etwas ist nicht richtig. Das sind nicht die Armeen, die ich erwarte.“

„Es ist Mephos“, sagte Solan und nickte, als er die verzerrte Bewegung der Armeen beobachtete. „Der Dämon der Zeit ist zurück. Er greift in die Geschichte ein, indem er die Schlachten von gestern erneut entfacht – aber mit anderen, dunklen Kräften.“

Die Realität wurde mehr und mehr von diesem finsteren Einfluss durchzogen, und die Gefährten mussten sich nicht nur gegen die Armeen, sondern auch gegen die übernatürlichen Kräfte stellen, die Mephos heraufbeschworen hatte. Die Geister der Gefallenen, die ihre Körper in den Boden gerissen hatten, schienen nicht mehr den Frieden des Todes zu finden, sondern wurden von einer fremden Macht gezwungen, als leblose Marionetten auf dem Schlachtfeld zu kämpfen.

„Wir müssen den Ursprung dieser dunklen Macht finden und sie zerstören“, sagte Lyra entschlossen, während sie in das Chaos stürmte. „Denn wenn wir sie nicht aufhalten, wird die Geschichte selbst in den Abgrund gezogen.“

Der Nebel führte die Gefährten weiter – in die Vergangenheit, in die Revolutionen und Aufstände, in die Revolution von 1789, als die Straßen von Paris von der Zornesflut des Volkes überflutet wurden. Es war ein Bild von Brutalität und Hoffnung zugleich, doch auch hier fühlten sie die dunkle Präsenz Mephos‘, der sich in der Finsternis der Umbrüche versteckte.

„Es fühlt sich an, als ob die Revolution selbst in die falsche Richtung geht“, sagte Solan, als er den Blick auf den stürzenden Bastille richtete. „Dieser Aufstand wurde von einer dunklen Hand gelenkt, die die Geschichte in eine Richtung verschieben will, die uns allen zum Verhängnis werden könnte.“

„Das ist der Moment, in dem alles kippt“, sagte Kai und griff nach seiner Waffe. „Aber wir haben nicht nur unsere Geschichte verändert. Wir haben die Dunkelheit selbst herausgefordert. Und das wird uns auf den nächsten Pfad führen.“

Der Nebel zog weiter, und mit jedem Schritt der Gefährten durch diese Epochen der Geschichte verschmolzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem einzigen, chaotischen Gewebe. Doch sie wussten, dass sie gemeinsam stark genug waren, um der Dunkelheit zu trotzen und die wahren Fäden der Geschichte neu zu weben.

Der Aufstieg von Napoleon Bonaparte, die Kriege, die die Nationen zerrissen, die Revolutionen, die das europäische Gesicht veränderten, die Kriege von Seuchen und Toten, die Brände der Hexenverfolgung – all das und mehr würde vor ihnen liegen, aber auch sie wussten, dass es an ihnen lag, diese Kräfte zu bändigen und die Geschichte in die richtige Richtung zu lenken.

Und so führte der Nebel die Gefährten weiter in die tiefsten Schatten der Vergangenheit, durch die Zeit und die Räume, die sich ständig veränderten – und mit jeder Wendung wussten sie, dass ihre Reise noch lange nicht zu Ende war. Die Geschichte hatte sie wieder einmal zu einem Wendepunkt geführt, und es war an der Zeit, den Fluss der Geschichte selbst zu bestimmen.

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