Kapitel 115: Das Netz der Epochen

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Kapitel 115: Das Netz der Epochen

Der Wind trug den salzigen Duft des Meeres zu ihnen, doch die vertraute Atmosphäre des Hafens war nun von einer düsteren Schwere durchzogen. Lyra, Kai und Solan standen erneut am Rande der Geschichte, doch diesmal war alles anders. Der ehemals lebhafte Ort wirkte wie ein Relikt aus einer fernen Vergangenheit, das von den Schatten der Kriege und Umwälzungen gezeichnet war. Und doch war dieser Hafen mehr als ein Ort – er war ein Schnittpunkt der Welten, ein Ort, an dem sich die Geschichten unaufhörlich miteinander verwebten.

„Es fühlt sich an, als ob die Zeit selbst gegen uns arbeitet“, sagte Solan und zog die Karte aus seiner Tasche. „Die Fäden der Vergangenheit, die wir zu entwirren versuchen, sind nun so dicht und verworren, dass wir fast keinen klaren Blick mehr haben.“

„Das ist Mephos‘ Werk“, antwortete Lyra und sah auf die trüben Wasser des Hafens. „Er hat die Zeit manipuliert und uns in einen Strudel der Geschichte geworfen, der uns immer weiter von unserem Ziel entfernt. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Jeder Schritt, den wir tun, ist ein Schritt näher zum Ende.“

Kai nickte, seine Augen suchten in der Ferne nach etwas, das er noch nicht erkennen konnte. „Der Krieg gegen die Iberer ist nur ein kleiner Teil von allem, was sich jetzt entfaltet. Wir sind Teil von etwas viel Größerem, einem Kampf, der weit über uns hinausgeht. Aber wie können wir gewinnen, wenn die Zeit selbst gegen uns kämpft?“

„Indem wir sie an ihrer schwächsten Stelle packen“, sagte Solan entschlossen. „Wenn wir den Ursprung des Chaos finden, können wir den Fluss der Geschichte in unsere Richtung lenken.“

Om 25

In der Ferne tauchten die Mauern einer mächtigen Festung auf, die sich wie ein gewaltiger Schatten gegen den Horizont abzeichnete. Es war der Ort, den sie bereits zuvor besucht hatten, doch nun war er anders. Die Festung, die einst als stiller Zeuge vergangener Kriege da war, war nun ein Bollwerk im Sturm eines bevorstehenden Konflikts.

„Diese Festung…“, begann Kai, „sie wird in den kommenden Monaten der Schauplatz einer der blutigsten Schlachten der Geschichte sein. Die Schlacht von Hastings – ein Wendepunkt für England. Aber diesmal… wird sie anders verlaufen.“

„Was meinst du?“, fragte Lyra, die seine Besorgnis in seiner Stimme spürte.

„Mephos‘ Einfluss hat die Zeit so stark verändert, dass selbst die entscheidenden Momente einer Schlacht in Frage gestellt werden. Was, wenn Wilhelm der Eroberer in dieser Zeit keine Chance hat? Was, wenn der Ausgang dieser Schlacht die Geschichte verändert und der Grundstein für ein völlig anderes Europa gelegt wird?“ Kai griff nach seinem Schwertgriff, als er sich das Szenario vorstellte.

„Dann müssen wir sicherstellen, dass der wahre Verlauf der Geschichte nicht verloren geht“, sagte Solan, als er die alte Karte näher betrachtete. „Die Geschichte ist ein lebendiges Wesen. Und wir müssen sie führen, statt sie nur zu beobachten.“

Doch bevor sie weiter in die Vergangenheit vordringen konnten, riss ein plötzlicher Ruck durch die Luft, und der Boden unter ihnen erschütterte sich, als ein gewaltiger Sturm die Landschaft in seinen Griff nahm. Ein grelles Licht blendete ihre Augen, und im nächsten Moment standen sie mitten auf einem Schlachtfeld – das England der Vergangenheit, wie sie es nie zuvor erlebt hatten.

Die Ländereien waren von Schlamm bedeckt, und der Krieg hatte die Erde zu einem blutgetränkten Chaos gemacht. Die Geräusche von Kriegsschreien und das Rattern der Waffen drangen aus allen Richtungen, als die Streitkräfte von Norman und Angelsachsen aufeinandertrafen. Doch etwas war anders: der Nebel, der das Schlachtfeld durchzog, war nicht nur von der Natur verursacht. Er war künstlich, ein Geschöpf der finsteren Mächte, die in der Geschichte wüteten.

„Dieser Nebel“, sagte Lyra, „er ist von Myria Dunkelmond, der Herrin der Nebel. Sie hat ihre Kunst eingesetzt, um uns zu verwirren, uns in diesem Moment festzuhalten.“

„Und wir können nicht entkommen“, fügte Kai hinzu, während er mit seiner Hand nach dem Schwert griff, das sich jetzt verändert hatte, um der Zeit und dem Krieg zu entsprechen.

„Wir müssen ihren Einfluss brechen“, sagte Solan, als er sich mit der Karte in der Hand konzentrierte. „Aber die einzige Möglichkeit, das zu tun, ist, die Quelle des Nebels zu finden.“

Der Nebel schien sich immer weiter auszubreiten und verdichtete sich, bis er fast undurchdringlich war. Plötzlich tauchte eine Gestalt aus dem Dunst auf – Myria Dunkelmond selbst. Ihre Augen funkelten wie zwei kleine Sterne in der Dunkelheit, und ihr Lächeln war mehr eine Drohung als eine Geste der Freundschaft.

„Ihr glaubt, euch der Zeit zu entziehen, aber ich bin der Nebel, ich bin die Zeit selbst“, sagte sie mit einer Stimme, die sowohl den Wind als auch den Fluss der Geschichte durchdrang. „Ihr habt eure Wege durch die Epochen verfolgt, aber hier, auf diesem Schlachtfeld, wird sich eure Reise entscheiden.“

„Nicht, wenn wir das verhindern können“, sagte Lyra, die sich auf ihren Armband konzentrierte, der sich jetzt ebenfalls verändert hatte, um der Ankunft dieser neuen Ära gerecht zu werden. Sie wusste, dass der Armband das einzige Artefakt war, das in dieser Zeit eine Chance hatte, die Macht von Myria zu brechen.

Doch bevor sie handeln konnten, erschien eine weitere Gestalt – Seraphine Veyra, die Visionärin, die die Zukunft in ihren Händen hielt. „Die Nebel sind nur ein Teil eines größeren Spiels“, sagte sie, als sie aus dem Dunst trat, ihre Augen erleuchteten von den Visionen der kommenden Schlachten und Kriege. „Ihr müsst nicht nur gegen Myria kämpfen. Die wahre Bedrohung ist Mephos, und er hat längst seine Fäden in diesen Konflikt gesponnen.“

„Wir haben es schon einmal gesagt“, sagte Kai, „die Zeit selbst hat uns auf diesen Weg geführt. Aber wir können nicht zulassen, dass Mephos diese Welt noch weiter formt.“

Die Gruppe wusste, dass ihre Reise sie nun nicht nur in die Schlacht von Hastings führen würde, sondern auch durch viele andere Epochen, die auf ihre Aufmerksamkeit warteten. Von den großen Seuchen, die Europa verwüsteten, bis hin zu den düsteren Zeiten der Hexenverfolgungen – jeder Schritt war ein Schritt in das Unbekannte, und ihre Aufgabe war es, das Gleichgewicht der Welt zu bewahren, bevor die Geschichte endgültig ihre Richtung verlor.

Die Reise war noch lange nicht vorbei, und während der Nebel sich wieder verdichtete, fühlten sie das Gewicht der kommenden Schlachten. Doch Lyra, Kai, Solan und ihre Gefährten wussten, dass sie nicht alleine waren. Die Geheimbünde der Vergangenheit, die revolutionären Kräfte, die Piraten und Philosophen, die sie auf ihren Reisen kennengelernt hatten, würden erneut an ihrer Seite stehen.

„Die Zeit ist ein unbarmherziger Feind“, sagte Solan, als er den Nebel betrachtete, „aber wir sind die Hüter des Schicksals, und wir werden nicht weichen.“

„Nicht, solange wir zusammen sind“, fügte Kai hinzu.

Und so zog die Gruppe weiter in das Labyrinth der Epochen, wissend, dass die Schlachten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sie alle zu einem einzigen, unaufhaltsamen Schicksal führen würden.

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