Kapitel 105: Das Flimmern der Zeit
Die Gruppe setzte ihren Weg fort, tief in die Epochen, die vor ihnen lagen. Der Nebel umhüllte sie wie ein undurchdringlicher Schleier, der die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwischte. Mit jedem Schritt schien die Zeit selbst zu flimmern, als würde sie sich selbst neu ordnen. Kai, Lyra, Solan und ihre Gefährten waren auf der Jagd nach der Dunkelheit, die sich mit den Epochen verschmolz – die dunklen Mächte, die von Mephos gelenkt wurden.
„Sie sind überall“, murmelte Lyra und strich gedankenverloren über das Armband an ihrem Handgelenk. Es hatte sich wieder an die Zeit angepasst, seine Form veränderte sich, als ob es die Geschichte selbst in sich trug. „Die Dunkelheit ist nicht nur ein Teil der Geschichte, sie ist der Schatten, der über allem liegt.“
„Und wir müssen sie vertreiben“, fügte Solan hinzu, während er in seinem Buch blätterte. „Die Epochen, die wir betreten, sind bereits von ihr durchzogen. Aber wir müssen uns erinnern – dies sind nicht nur Schlachten. Es ist der Kampf um das Gleichgewicht der Welten.“
Die Reise führte sie tief in das frühe Mittelalter, an den Rändern des zerklüfteten, rauchenden Schottlands. Der Nebel war so dicht, dass die Umrisse der Hügel und Burgen nur schemenhaft zu erkennen waren. Die Luft war kalt, und der Boden unter ihren Füßen war von den vielen Schlachten durchzogen, die hier geschlagen worden waren. Doch dieses Mal war der Ort anders. Es war nicht der gleiche, den sie einst besucht hatten.
„Wir sind zurück“, sagte Kai, als er auf das, was einst die Festung von Stirling war, blickte. „Aber hier ist es anders. Diese Mauern sind nicht die gleichen, die wir kennen.“
„Mephos’ Einfluss hat auch hier zugeschlagen“, sagte Myria, ihre Stimme wie ein Wispern im Wind. „Die Geschichte wird verändert, und wir müssen die richtigen Entscheidungen treffen.“
Die Winde trugen den Klang von Schwertern und den Drang der Eroberung mit sich. Schotten und Engländer kämpften erneut um die Herrschaft, doch es war nicht nur der Krieg, der sie an diesen Ort brachte. Es war der Hauch von Dunkelheit, der durch die Epochen glitt, wie eine unsichtbare Hand, die alles in ihren Bann zog.
„Sie haben die Seelen der Krieger befallen“, sagte Solan, der die Schlachtlinien studierte. „Es ist, als ob die Toten wieder zum Leben erweckt worden wären, doch sie sind nicht die gleichen. Sie sind von der Dunkelheit beherrscht.“
„Und das wird das Land in den Abgrund stürzen, wenn wir es nicht verhindern“, rief Seraphine, ihre Augen in einem intensiven, visionären Glanz. „Die Zeit ist ein gewaltiger Ozean, aber wir haben den Kurs verloren. Doch wir können ihn zurückfinden.“
Mit jedem Schritt näherte sich die Gruppe der festungsartigen Mauern, die nun, durch den Nebel und den veränderten Lauf der Geschichte, wie ein lebendiges Monument aus einem anderen Zeitalter wirkten. Die Kleidung der Gruppe passte sich allmählich der Umgebung an. Kai trug nun einen ritterlichen Mantel aus grobem Wolle, der in seiner dunklen Farbe die Schattierungen der Erde widerspiegelte. Lyra hatte einen kriegerischen Umhang angelegt, der ihr Bewegungsfreiheit ließ und dennoch die Eleganz ihrer Person unterstrich. Solans Kleidung schien aus einem dunklen Leder gefertigt zu sein, das ihn sowohl als Gelehrten als auch als Krieger auszeichnete. Die Artefakte, die sie trugen, waren nun weniger auffällig, aber in ihrer Handhabung so mächtig wie nie zuvor.
„Der Nebel wird uns noch weiter begleiten“, sagte Myria und hielt ihren Stab hoch. „Doch wir werden nicht zulassen, dass er uns entführt. Wir müssen uns der Dunkelheit stellen.“
In den Wolken über ihnen zeichnete sich das Bild von gefallenen Kriegern ab. Ihre Geister, in einer ewigen Schlacht gefangen, stritten ohne Ende. Doch etwas war nicht in Ordnung. Die Magie, die über ihnen schwebte, war von einer anderen Art. Etwas Dunkles, das über die Jahrhunderte hinweg gewoben worden war, hatte diese Geister korrumpiert. Etwas, das nur der Einfluss von Mephos verursachen konnte.
„Die Schlacht wird bald beginnen“, sagte Selena Arinthal, die die Dämmerung spürte. „Doch wir dürfen nicht zulassen, dass sie die Geschichte bestimmen. Wir müssen eingreifen, bevor es zu spät ist.“
Sie alle gingen nun in die Nähe der Linien von Kriegern und Pferden, die sich bereits in Position brachten. Der Konflikt, der die Geschichte von Schottland für immer verändern würde, war nah, doch der wahre Feind war nicht der Engländer oder der Schotte. Es war die Dunkelheit, die die Geschichte selbst korrumpierte.
„Dort, am Horizont“, sagte Kai und deutete auf eine Gruppe von Kriegern, die sich aufeinander zubewegten. „Sie sind nicht nur Krieger. Sie sind von etwas anderem befallen.“
„Mephos’ Huldiger“, flüsterte Solan. „Er hat die Geister der Schlacht wieder erweckt, um uns zu testen.“
„Und wir werden ihm zeigen, dass wir nicht zu testen sind“, sagte Lyra, ihre Hand fest um das Artefakt an ihrem Handgelenk geschlossen. Der Glanz, der davon ausging, war jetzt stärker als je zuvor.
Ein Schlag, und der erste Kampf brach los. Doch es war kein gewöhnlicher Kampf. Die Luft selbst schien zu vibrieren, die Schwerter in den Händen der Krieger glühten in einem unheilvollen Licht. Es war der Beginn einer größeren Schlacht – einer Schlacht, die nicht nur um das Land ging, sondern um das Gleichgewicht der Welt. Und für Kai, Lyra und ihre Gefährten bedeutete dieser Moment, dass sie nicht nur ihre eigene Zukunft retten mussten, sondern die Zukunft aller Zeiten.
„Seid bereit“, rief Seraphine, ihre Augen weit geöffnet. „Es wird schwer, aber das ist der Preis, den wir zahlen müssen, um die Dunkelheit zu besiegen.“
Der Nebel über Stirling hatte sich geschlossen, und die Schlacht von Stirling würde die Geschichte von Schottland und vielleicht von der ganzen Welt verändern. Doch die Gruppe wusste, dass dies nur der Anfang war. Es gab noch viele Epochen, die sie betreten mussten, viele Feinde, denen sie begegnen würden. Und jede Schlacht, jede Entscheidung, würde das endgültige Gleichgewicht bestimmen.
Der Sturm über den Epochen tobte weiter.