Kapitel 101: Der Ruf der Schlachten
Die Zeit war ein undurchdringlicher Nebel, und doch hatte der Riss sie erneut erfasst. Ein weiteres Mal fanden sich die Gefährten auf unbekanntem Boden wieder. Doch diesmal war der Übergang weicher, fast unmerklich, als ob die Geschichte sich selbst um ihre Ankunft gewunden hätte, bereit, sie in ihren Bann zu ziehen.
Lyra spürte die Veränderung an ihrem Armband – es war kein Schmuck mehr, sondern ein Symbol, das mit der Zeit verschmolz. Die feinen Linien des Armbands schimmerten nun in einem metallischen Glanz, der den Farbton der Umgebung widerspiegelte. Die Luft war kühl, ein leichter Wind streifte die Wiesen, die von wild wachsenden Kräutern und blühenden Büschen gesäumt waren. Doch der Frieden trügte. In der Ferne grollten die Trommeln des Krieges.
„Dieser Ort…“ begann Kai, seine Hand an die Klinge legend, die sich ebenfalls angepasst hatte und nun wie ein rustikales Schwert aus einem längst vergangenen Jahrhundert wirkte. „Ich kenne ihn. Aber anders. Wo sind wir?“
„England, 1415,“ sagte Solan und rollte eine alte Karte aus, die er in seinen Taschen gefunden hatte. „Die Zeit des Hundertjährigen Krieges. Die Schlacht von Azincourt wird bald stattfinden. Aber dieser Ort… er ist nicht der, den ich einst kannte. Etwas hat sich verändert.“
Die Landschaft war die gleiche, und doch war sie anders. Der Duft von nassem Gras und vermischtem Aschegeruch in der Luft war nun durch den Klang von Hämmern und das Murmeln von Soldaten ersetzt worden. Der Wind wehte leise durch die Wälder, als eine mysteriöse, dunkle Präsenz das Land zu durchdringen begann.
„Es fühlt sich an, als wären wir zurück in einer Zeit, die nie vergangen ist“, sagte Lyra und sah sich um. „Ich war hier schon einmal… aber damals war alles in ein strahlendes Licht gehüllt. Der Krieg stand noch bevor, die Armeen waren nicht so… geplagt von Dunkelheit.“
„Das ist der Fluch der Schatten“, sagte Seraphine, die Visionärin, ihre Augen trüb und verträumt. „Ich sehe das Bild eines Kriegers in schwarzer Rüstung… aber nicht der Ritter von früher. Diese Dunkelheit zieht sich durch die Jahrhunderte, sie korrumpiert das Schicksal.“
„Mephos,“ murmelte Selena Arinthal, ihre Stimme hallte unheilvoll. „Er hat die Fäden nicht nur in dieser Zeit, sondern auch in dieser Ära fest in der Hand.“
Ein Ruck ging durch die Gruppe, als ein seltsames Rauschen den Wind ergriff. Der Nebel, der immer noch wie eine gespenstische Wand zwischen den Bäumen stand, verdichtete sich zu einem unheimlichen, fast greifbaren Dunst. Es war Myria Dunkelmond, die Herrin der Nebel, die mit ihrer Magie die Atmosphäre verstärkte, um ihre Anwesenheit zu verbergen.
„Etwas ist falsch“, sagte sie und hob ihren Stab. Der Nebel um sie herum flimmerte und zog sich zusammen. „Es sind nicht nur die Menschen, die sich in diesem Krieg winden. Die dunklen Mächte haben sich über die Schlachtfelder gelegt und verändern alles, was wir einst kannten.“
„Schlachten wie diese… sie bringen den Krieg ins Herz dieser Erde“, sagte Sira Valeris, die sich in einen Adler verwandelte und hoch über die weiten Felder flog. Ihre scharfen Augen erkannten Bewegungen, die den Fluss der Geschichte störten. „Ich sehe Armeen, die sich vereinen, aber nicht aus natürlichen Gründen. Diese Krieger sind nicht nur Soldaten. Etwas übernatürliches treibt sie an.“
„Und sie werden uns erwarten“, sagte Kai, seine Stimme schneidend. „Wir müssen dem Ganzen auf den Grund gehen, bevor es uns endgültig zerreißt.“
Es war eine schicksalhafte Wendung, als sie die erste Gruppe von Soldaten erblickten, die sich aus dem Nebel erhoben. In schwarzen Rüstungen, unter deren Helmen flimmernde Augen hervorlugten. Es war ein Anblick, der sofort Erinnerungen an den Schattenklinge hervorrief, doch dieser war kein gewöhnlicher Krieger mehr. Diese Armee war etwas anderes – sie war die Manifestation der Dunkelheit selbst.
„Sie haben sich verändert, sie sind mehr als nur Männer aus Eisen und Blut“, sagte Myria mit einer düsteren Miene. „Sie tragen die Dunkelheit in sich.“
„Ein weiterer Feind“, sagte Solan, und eine seltsame Ruhe durchzog ihn. „Aber die Geschichte muss sich nicht nur wiederholen, sie kann auch verändert werden.“
Plötzlich brach das Murmeln der Soldaten in lautes, wildes Gebrüll aus. Die Armeen des Engels und des Teufels standen nun gegeneinander. Ein gewaltiger Aufmarsch, der die Zukunft in den Grundfesten erschüttern würde. Doch als der Kampf begann, stellte sich heraus, dass nicht nur Menschen auf diesem Schlachtfeld standen.
„Das ist der Beginn einer Ära des Krieges, wie wir ihn nie zuvor gesehen haben“, sagte Seraphine, die ihre Visionen entschlüsselte, während die Armeen sich in einem epischen Kampf vereinten. „Das Schicksal ist nicht mehr das, was wir dachten. Es ist gewoben von den Händen der Dunkelheit.“
„Kämpfen“, sagte Kai und trat entschlossen vor, seine Klinge in die Hand nehmend. „Es ist unsere einzige Chance, das zu verhindern.“
Der Kampf tobte. Doch jeder Hieb, jeder Schuss und jedes Leben, das hier genommen wurde, schien in den Schatten von Mephos‘ Reich zu verschwinden, als die Gefährten durch das Durcheinander von Blut und Stahl kämpften, mit der festen Entschlossenheit, das Ende dieser neuen Ära zu verhindern.
Es war eine blutige Schlacht, die den Boden unter den Füßen der Gefährten erzittern ließ, doch sie kämpften Seite an Seite. Der Nebel um sie herum, das Chaos der Schlacht, der Klang von Metall auf Metall, all das verschmolz zu einem Sturm, der nicht nur die Welt veränderte, sondern auch das Schicksal selbst herausforderte.
„Wir müssen Mephos finden“, rief Lyra, als sie einen Dämmerkrieger mit einem gezielten Hieb niederschlug. „Er ist der Schlüssel zu all dem!“
„Seine Schatten sind in jedem Tropfen Blut, das auf diesen Boden gefallen ist“, sagte Solan. „Wir müssen an den Ursprung kommen.“
Der Nebel verflog, und der Wind riss sich von den Schlachtfeldern los, als sich die Gruppe weiter kämpfend durch die Reihen der Feinde bewegte. Es war der Beginn einer neuen Reise – die Reise durch die Zeit, durch die Kriege, die das Land durchzogen, bis zum größten Geheimnis, das sie je entschlüsseln würden.
Und so begann die Geschichte von Schlachten und Legenden, von Kriegen, die nicht nur mit Stahl und Feuer geführt wurden, sondern mit den dunklen Kräften der Zeit selbst.