Du machst wohl immer alles falsch!
Du sitzt da, in einem sterilen Konferenzraum mit einer Klimaanlage, die ein beständiges monotones Summen von sich gibt, als wolle sie dich in einen Zen-Zustand versetzen. Doch deine innere Ruhe hat gerade Pause. Der Chef, ein Mann mit akkurat gekämmtem Haar und einem teuren Anzug, der mehr kostet als dein Jahresurlaub, lehnt sich langsam über den Tisch. Seine Augen funkeln wie die eines Richters kurz vor der Urteilsverkündung. Du hast etwas falsch gemacht. Eine Zahl. Eine. Zahl.
Die Luft ist schwer, wie in einem verstaubten Antiquariat, in dem die Zeit stehengeblieben ist. Deine Kehle ist trocken, deine Gedanken rennen. Wie konnte das passieren? Du erinnerst dich an letzte Woche: Du sitzt in deinem Wohnzimmer, Laptop auf dem Schoß, ein leicht zerknittertes Hemd, weil die Bügelmaschine noch nicht erfunden wurde. Du hast den Bericht geschrieben. Du warst sicher. Doch jetzt sitzt du hier, und der Chef schaut dich an, als hättest du die Weltwirtschaft zum Einsturz gebracht.
„Das war ja wohl ein absoluter Katastrophen-Move, oder?“ Seine Stimme ist ruhig, aber durchtränkt von einer passiv-aggressiven Energie, die dir klarmacht: Hier ist nicht nur eine Zahl falsch, sondern deine gesamte Existenz fragwürdig. Du nickst. Was sollst du auch sagen? Er hält dir einen Ausdruck des Berichts hin, so akribisch rot markiert, dass es aussieht wie ein Tatortfoto. Du schluckst.
„Weißt du, wie wichtig das war?“ fragt er. Natürlich weißt du das. Aber jetzt kannst du dich nicht mehr verteidigen. Dein Kopf ist leer, wie eine Flasche Sekt nach einer besonders langen Weihnachtsfeier.
Er beginnt zu erklären. Nicht nur die Fehler. Nein, er erklärt dir das Leben. „Man muss präzise sein. Struktur! Disziplin! Das ist es, was uns ausmacht!“ Er gestikuliert wild, sein Gesicht wird rot, eine Ader an seiner Stirn pocht. Du fragst dich, ob er zu Hause ähnlich leidenschaftlich mit seiner Spülmaschine spricht, wenn die einen Teller übersieht.
Deine Gedanken schweifen ab. Vielleicht sollte ich auswandern, denkst du. Irgendwohin, wo Fehler wie dieser nur mit einem Schulterzucken quittiert werden. Italien? Griechenland? Hauptsache Sonne und wenig Excel-Tabellen. Du denkst an einen kleinen Strand, Palmen, einen Mojito in der Hand. Aber bevor du weiterträumen kannst, holt er dich zurück in die knallharte Realität.
„Was denkst du darüber?“ fragt er. Und genau da ist es. Das Paradoxon. Er will, dass du etwas denkst, aber nur das, was er hören will. Du stammelst etwas von „Wird nie wieder vorkommen“, obwohl ihr beide genau wisst, dass es das sehr wohl wird. Aber es ist der Satz, den er hören will. Er nickt. „Gut. Dann geh jetzt. Und mach es besser.“
Du stehst auf. Deine Beine sind schwer, als wären sie in Beton gegossen. Du verlässt den Raum, die Blicke der Kollegen verfolgen dich. Manche sehen mitfühlender aus als andere. Du setzt dich an deinen Schreibtisch, die Finger über der Tastatur, und denkst: „Warum mache ich das alles eigentlich?“
Doch dann, ganz leise, fast unmerklich, keimt in dir ein Gedanke. Ein rebellischer Gedanke. Ein Gedanke, der sagt: Vielleicht sollte ich ihm beim nächsten Mal einfach eine Excel-Tabelle mit seinen eigenen Fehlern vorlegen. Vielleicht sollte ich…
Aber du lächelst nur. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Du bist eben du. Fehler inklusive. Und weißt du was? Das ist gar nicht so schlecht.