Der Spiegel hasst dich wirklich
Du schreitest voller Selbstbewusstsein aus dem Haus. Dein Outfit? Ein Meisterwerk zwischen urbaner Coolness und lässiger Eleganz – denkst du zumindest. Ein Hauch von Parfum umgibt dich, deine Sneakers sind blitzsauber, die Sonnenbrille sitzt perfekt auf der Nase. Du fühlst dich wie ein Model, das versehentlich in die reale Welt gestolpert ist. Heute bist du nicht nur gut angezogen – du bist ein Statement.
Bis du an der ersten Schaufensterscheibe vorbeikommst.
Und da ist es. Das grauenhafte, nicht bestellte Spiegelbild einer Person, die du beim besten Willen nicht erkennen kannst. Eine Kreatur, die aussieht wie die tragische Kreuzung zwischen einem Kartoffelsack und einem gestrandeten Surfer, dem man seine letzten Würde-Reste auf Ebay versteigert hat. Dein Lieblingspullover hängt an dir wie ein nasses Handtuch, die coole Oversized-Jacke? Sie gibt dir eher die Anmut eines trotteligen Vogels, der gleich gegen eine Fensterscheibe fliegt. Deine Jeans? Sitzt irgendwie nicht mehr lässig, sondern schreiend nach Hilfe. Und deine Haare… reden wir gar nicht erst darüber.
Panik steigt in dir auf. Vielleicht war das ja nur ein schlechter Winkel. Also drehst du dich ein bisschen. Nein, noch schlimmer. Vielleicht ist das Glas verzerrt? Du machst ein paar Schritte nach links. Nein, immer noch eine Vollkatastrophe. Deine Knie werden weich. Das darf nicht wahr sein! Haben dich die Leute auf dem Weg hierher so gesehen? Haben sie in Gedanken Mitleid mit dir gehabt? Oder schlimmer noch – haben sie sich das Lachen verkniffen?
Du überlegst fieberhaft. Ist es das Licht? Hat jemand die Gravitation in diesem Teil der Stadt verändert? Nein, nein, es muss ein Fehler im Universum sein. Vielleicht hat eine höhere Macht beschlossen, dich für dein Übermaß an Selbstbewusstsein zu bestrafen. Vielleicht bist du ja einfach Teil eines gigantischen sozialen Experiments, um zu testen, wie lange ein Mensch mit zerbrochenem Ego weiterlaufen kann, bevor er weinend in die U-Bahn springt.
Aber nein, du bist kein Opfer. Du kannst das retten. Du richtest deinen Schal neu. Versuchst, deine Jacke anders zu tragen. Rücken gerade, Bauch einziehen, Kopf hoch. Noch ein schneller Kontrollblick.
Nichts hat sich verändert.
Ein tiefer Seufzer. Es gibt nur eine Lösung: weitergehen. So tun, als wäre das alles Absicht. Vielleicht strahlt dein Look ja ironische Mode-Exzellenz aus und die Leute um dich herum sind einfach nicht auf deinem Level. Ja, genau. Das ist die Antwort. Also läufst du weiter, mit einer Mischung aus Stolz und stiller Verzweiflung. Du bist vielleicht nicht perfekt – aber du bist einzigartig.
Und wenn du dich das nächste Mal für stylisch hältst, dann wirf zuerst einen Blick in einen echten Spiegel – bevor die gnadenlose Realität dich auf offener Straße erwischt.
„Mode ist, wenn man trotzdem lacht.“