Kapitel 9: Die Hängenden Gärten von Babylon
Das Reich von Mu verblasste wie ein ferner Traum. Der gleißende Sand, der sich in der Wüste endlos auszubreiten schien, und der üppige Dschungel mit seinen geheimen Wegen wichen einem schimmernden Nebel, der die Luft kühlte. Ein schwerer Duft von frischem Wasser und exotischen Blumen mischte sich mit der warmen Brise. An Lyras Handgelenk pulsierte das goldene Armband, dessen Energie mit jedem Atemzug kräftiger wurde, als trage es das Geheimnis von Raum und Zeit selbst. Sie fühlte einen unbestimmbaren Sog, ein Ziehen, das erst nachließ, als ihre Füße festen Boden unter sich spürten.
Die neue Welt entfaltete sich vor ihnen, wie ein atemberaubendes Panorama aus Farben und Düften. Die Hängenden Gärten von Babylon erhoben sich majestätisch in den Himmel, ihre Legende lebendig vor ihren Augen. Über die terrassierten Ebenen rankten sich exotische Pflanzen, deren Blüten in den Farben des Regenbogens leuchteten, während das Wasser in schimmernden Strömen in kunstvoll geformte Becken stürzte. Die Fluten brechen das Sonnenlicht in ein Kaleidoskop aus glitzernden, lebendig flimmernden Farben. Ein sanfter Wind trug den betörenden Duft von Jasmin und Zitrusblüten heran, der ihre Sinne verwirrte.
Lyra trat ein, ihr Kleid schimmerte im goldenen Sonnenlicht. Es war ein edles, seidiges Gewand, dessen Stickereien Palmblätter und Weinranken darstellten, kunstvoll in Goldfäden eingewebt. An ihrem Handgelenk schimmerte das goldene Armband, das wie ein magisches Band die ganze Szenerie in sich aufnahm. Es war schlicht und doch von einer beinahe mystischen Präsenz, als wäre es das Herzstück ihrer Reise, als würde es den Weg weisen. Solan trug ein Gewand, das in geometrischen Mustern leuchtete, die an babylonische Schriftzeichen erinnerten, und Kai war in eine leichte Rüstung gehüllt, die in der Sonne glänzte. Ein kurzer Blick auf seine geschwungene Klinge, die an seiner Seite ruhte, verriet, dass er jederzeit auf Gefahr vorbereitet war.
„Das ist… unglaublich“, flüsterte Lyra, während sie das Armband über ihren Handrücken gleiten ließ. Es schien mit jedem Atemzug stärker zu leuchten, als wäre es von der Energie dieses Ortes durchdrungen. Die pulsierenden Zeichen auf seiner Oberfläche, die zuvor unscharf waren, nahmen jetzt klare Formen an, als ob sie ein Geheimnis enthüllen wollten. Ein vertrautes, beruhigendes Gefühl ergriff sie, als würde es ihr Flügel verleihen.
„Und doch“, sagte Solan nachdenklich, während sein Blick über die Gärten schweifte, „ist es schwer zu sagen, was hier real ist und was nur eine Illusion. Vielleicht sind die Legenden, die wir kennen, nur ein schwacher Abglanz dessen, was wirklich war.“
Kai trat einen Schritt vor, die Stirn gerunzelt, seine Augen mit einer Mischung aus Neugier und Vorsicht auf das beeindruckende Bauwerk gerichtet. „Die Frage ist, warum wir ausgerechnet hier gelandet sind. Es muss einen Grund geben.“
Lyra war still, doch das goldene Armband in ihrer Hand schien ihr zuzuflüstern, als würde es mit der eigenen Energie der Zeit in Resonanz treten. Sie betrachtete das Armband noch einmal, das nun in einem sanften Rhythmus pulsierte, als sei es der Herzschlag dieses Ortes, der sich mit ihrem eigenen synchronisierte. „Das Armband hat uns hierher geführt“, sagte sie leise. Ihre Stimme war fest, als sie den Blick zu den Gärten erhob. „Vielleicht ist dies der Ort, an dem wir die Antworten finden.“
Die Gruppe setzte sich in Bewegung, ihre Blicke immer wieder von den schwebenden Gärten hinauf zu den üppigen Terrassen, die hoch über dem Boden zu schweben schienen. Es war eine Szenerie von fast unerreichbarer Schönheit: kunstvoll geflochtene Pflanzenarrangements hingen wie grüne Teppiche von den Terrassen herab, die in geschwungene Formen geschnitten waren. Riesige Bäume spendeten Schatten, ihre Wurzeln verschlungen sich mit den Steinen und bildeten natürliche Terrassen, auf denen das leise Plätschern von Wasser zu hören war. In den schattigen Winkeln glänzten Becken aus blauen Lapislazuli, in denen goldene Fische in mystischen Tanzschwänzen durch das Wasser glitten.
„Ungeheuer beeindruckend“, flüsterte Solan, als seine Augen den Anblick dieser grandiosen Anlage in sich aufnahmen. Überall lagen Spuren der alten Handwerkskunst, die den Ort zu einem wahren Meisterwerk der Architektur machten. Sogar die Wege, auf denen sie schritten, waren mit kunstvollen Mustern aus Mosaiken versehen, die an babylonische Schriftzeichen erinnerten.
Je weiter sie in die Gärten vordrangen, desto stärker wurde das Leuchten des goldenen Armbands. Lyra spürte, wie die Zeichen auf der Oberfläche des Armbands begannen, sich zu verändern. Sie nahmen die Formen der Symbole an, die in die Steinplatten unter ihren Füßen gemeißelt waren. „Es nimmt die Essenz dieses Ortes auf“, murmelte sie halb zu sich selbst, halb zu den anderen, während ihre Augen von den magischen Zeichen hypnotisiert wurden.
„Und dabei wird es mächtiger“, fügte Solan hinzu, seine Stimme war leise, fast ehrfürchtig. „Es fühlt sich an, als ob es die Verbindung zu den anderen Artefakten immer mehr verstärkt.“
Kai, der die Gruppe beobachtete, blieb einen Schritt hinter ihnen. Seine Hand lag fest auf dem Griff seiner Klinge, seine Augen suchten unermüdlich nach Anzeichen für eine bevorstehende Gefahr. „Wir sollten vorsichtig sein“, warnte er mit einem Blick, der alles andere als entspannt war. „Orte wie dieser bergen nicht nur Wissen, sondern auch Gefahren.“
Lyra spürte keine Angst. Es war eine seltsame, unerschütterliche Entschlossenheit, die sie ergriff. Sie wusste, dass das goldene Armband nicht nur ein Artefakt war – es war ein Teil von ihr, der Schlüssel zu den Geheimnissen der Zeit und der Geschichte. Mit jedem Schritt, den sie weiter in das Herz der Hängenden Gärten von Babylon setzte, wuchs nicht nur die Spannung, sondern auch die Gewissheit, dass sie ihrem Ziel näher kamen.
Der Auftrag der Chronoskala
Thorin trat aus dem Schatten der leuchtenden Säulen hervor, die das Herz der Hängenden Gärten von Babylon erhellten. Die prächtigen Gärten, die einst als eines der sieben Weltwunder gepriesen wurden, präsentierten sich in einer unverwechselbaren Pracht. Ihre hohen, mit Marmor verkleideten Terrassen schienen den Himmel zu berühren, während das sanfte Plätschern der Wasserfälle, die von den oberen Ebenen herabstürzten, eine Atmosphäre von Frieden und Macht zugleich verbreitete. Thorins Erscheinung wirkte wie aus einer anderen Welt: Eine majestätische Robe, verziert mit schimmernden Mondsicheln, die im Licht der Fackeln zu pulsieren schienen, als ob das Gewebe selbst von einer verborgenen Energie durchzogen war. Seine Augen, tief und wissend, ruhten auf Lyra, deren goldenes Armband – ein Artefakt von unbeschreiblicher Macht – im Dämmerlicht leicht aufleuchtete, als ob es die Energie des Ortes zu spüren vermochte.
„Willkommen in Babylon“, begann Thorin mit einer Stimme, die gleichermaßen Ruhe und Autorität ausstrahlte, wie das Rauschen eines fernen Stroms. „Hier, in den Gärten, liegt ein Fragment der Chronoskala verborgen. Es ist entscheidend, um die volle Kraft des Omnifaktums zu entfesseln.“
Kai, der Thorins Worte aufmerksam verfolgte, verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. „Chronoskala? Das klingt, als gäbe es noch unzählige Teile. Was verschweigst du uns, Thorin?“
Thorin nickte mit Bedauern in den Augen, als er Kai ansah. „Die Artefakte der Chronoskala sind mächtig, aber ohne ihre Fragmente bleibt sie unvollständig. Jedes dieser Bruchstücke ist an einen Wächter gebunden oder an einen Ort, der es vor Eindringlingen schützt. Und hier in Babylon…“ Er deutete mit einer eleganten Handbewegung auf die oberen Ebenen der Gärten, wo die Wasserfälle in kaskadenartigen Strömen glitzerten, „…findet ihr Königin Amathéa, die Hüterin dieses Fragments.“
Lyra betrachtete das goldene Armband an ihrem Handgelenk, dessen Muster sanft pulsierte. Ein vager Gedanke durchzuckte sie: War es das Armband, das sie bis hierher geführt hatte? „Wer ist diese Königin Amathéa?“ fragte sie schließlich, ihre Stimme von einer Mischung aus Neugier und Vorsicht durchzogen.
„Amathéa ist keine gewöhnliche Herrscherin“, antwortete Thorin, seine Worte voll Ehrfurcht. „Ihre Weisheit und Stärke sind legendär, aber sie testet jeden, der ihre Gemäuer betritt. Nur diejenigen, die ihr Vertrauen gewinnen, dürfen das Fragment an sich nehmen.“
Solan, der bisher geschwiegen hatte, ließ seinen Blick über die Gärten schweifen. Die Pracht des Ortes, der mit einer einzigartigen Kombination aus Architektur und Natur verwoben war, ließ selbst ihn, der viele Zeitalter bereist hatte, staunen. „Und wie sollen wir ihr Vertrauen gewinnen? Gibt es eine Prüfung? Oder etwa… einen Kampf?“ Seine Stimme war ernst, aber auch neugierig.
Thorin trat einen Schritt näher, und das Rascheln seiner Robe über den mit Blumenblüten übersäten Boden mischte sich mit dem Rauschen des Wassers in der Nähe. „Das entscheidet allein Amathéa“, sagte er, sein Blick ernst. „Doch eines ist sicher: Ihr müsst zusammenarbeiten. Euer Erfolg hängt davon ab, wie gut ihr als Einheit agiert.“
Lyra spürte das Gewicht der bevorstehenden Aufgabe auf ihren Schultern. Das goldene Armband an ihrem Handgelenk schien mit jeder Sekunde wärmer zu werden, als ob es die Herausforderung der kommenden Prüfungen erahnte. Sie holte tief Luft und blickte zu den majestätischen Treppen, die zu den höheren Ebenen führten. „Dann sollten wir keine Zeit verlieren.“
Der Aufstieg in die Gärten
Die Gruppe setzte ihren beschwerlichen Aufstieg fort, geführt von dem sanften, pulsierenden Leuchten des goldenen Armbands, das Lyras Handgelenk umschloss. Das Armband, dessen Muster aus feinsten Linien wie eine tanzende Energie glühten, zeigte ihnen den Weg. Die Terrassen der Gärten schienen sich endlos zu erstrecken, jede von ihnen ein Meisterwerk der Architektur, das sich mit der Natur vereinte. Die Wände der Gärten waren mit kunstvollen Mosaiken bedeckt, die Geschichten längst vergangener Epochen erzählten. In einer der Mauern erkannten sie ein Rätsel – eine Anordnung verschiebbarer Steine, die ein verborgenes Geheimnis zu wahren schienen. Solan kniete sich nieder, betrachtete die Steine genau und begann, sie mit ruhiger Präzision zu bewegen.
„Beeil dich, Solan. Wir haben nicht ewig Zeit“, drängte Kai ungeduldig, während er sich nervös umsah.
„Manchmal ist Geduld der einzige Weg, den Schlüssel zur Wahrheit zu finden“, entgegnete Solan ruhig, ohne den Blick von den Steinen zu nehmen.
Lyra beobachtete das Geschehen, ihr Blick wanderte immer wieder zum leuchtenden Armband an ihrem Handgelenk. Sie spürte, wie sich eine immer tiefere Verbindung zwischen ihr und dem Artefakt entwickelte, als ob es auf die Rätsel reagierte. Schließlich ertönte ein leises Klicken. Die letzte Steinplatte glitt in Position, und eine verborgene Tür öffnete sich lautlos vor ihnen.
Hinter der Tür lag eine kleine Halle, die wie ein Paradies wirkte. Seltene, leuchtende Blumen in allen Farben breiteten sich aus, ihre Düfte vermischten sich zu einem berauschenden Aroma, das die Sinne überflutete. Die Luft war schwer von einer fast magischen Energie. In der Mitte des Raumes erhob sich ein kristallklares Wasserbecken, über dem ein goldenes Symbol schwebte – das Fragment der Chronoskala.
Lyra trat vorsichtig vor, das goldene Armband an ihrem Handgelenk begann intensiver zu leuchten, als ob es die Energie des Symbols aufsog. „Es ist… wunderschön“, flüsterte sie, ihre Stimme voller Ehrfurcht.
Doch plötzlich hallte eine Stimme durch die Halle, dunkel und majestätisch: „Ihr wagt es, meine Gemäuer zu betreten?“
Eine Gestalt trat aus den Schatten. Ihre Präsenz füllte den Raum, und eine Mischung aus Eleganz und Macht umhüllte sie. Es war Königin Amathéa. Ihr schimmerndes Gewand bewegte sich wie flüssiges Licht, und ihre durchdringenden Augen ruhten auf Lyra und ihrem goldenen Armband.
„Das Artefakt an deinem Arm… Es gehört nicht hierher“, sprach Amathéa mit einer Stimme, die wie das Rauschen eines Wasserfalls klang. „Doch ich sehe, es hat dich zu mir geführt. Erkläre dich, bevor ich urteile.“
Lyra schluckte schwer. Sie konnte förmlich spüren, wie das Armband auf Amathéas Anwesenheit reagierte – die pulsierenden Zeichen wurden schneller, als ob sie die Energie des Raumes und der Königin aufsogen. „Wir suchen die Wahrheit“, sagte sie schließlich, ihre Stimme fest, obwohl ihr Herz heftig schlug.
Kai und Solan traten näher, bereit, Lyra zu verteidigen, falls es nötig war. Doch Lyra wusste, dass dieses Gespräch über Worte geführt werden musste. Sie spürte, wie das Armband ihr Kraft gab – eine Verbindung, die sie zunehmend verstand, als wäre es nicht nur ein Artefakt, sondern ein Teil ihres Wesens.
Die Prüfung der Königin
„Wir suchen das Fragment der Chronoskala“, sagte Lyra, ihre Stimme fest, als sie das goldene Armband an ihrem Handgelenk leicht drehte. Die pulsierenden Symbole darauf schimmerten in einem warmen Licht, als wäre das Artefakt selbst Zeuge ihrer Entschlossenheit. „Es ist für eine größere Aufgabe bestimmt.“
Amathéas Lächeln war kühl, ihre Augen jedoch scharf wie Klingen. „Die Fragmente der Chronoskala sind Schlüssel zu unermesslicher Macht. Sie werden nicht leichtfertig weitergegeben. Beweist, dass ihr würdig seid.“
Noch während die Worte im Raum nachklangen, begann die Umgebung, sich zu verändern. Der Boden vibrierte leicht, und ein leuchtendes Muster breitete sich aus wie Wasser, das auf einen glatten Stein trifft. Mit einem plötzlichen Ruck wurden Lyra, Kai und Solan in drei verschiedene Bereiche gezogen. Jede Prüfung war individuell und schien tief in die Persönlichkeit der Betroffenen einzudringen.
Lyras Prüfung
Lyra stand inmitten einer endlosen, trostlosen Landschaft. Der Himmel war in ein bedrohliches Rot getaucht, als sei er von einem unsichtbaren Feuer verbrannt. Der Boden, bedeckt mit einer Ascheschicht, erinnerte an den Abdruck eines gewaltigen Konflikts, der die Welt in seinen Grundfesten erschüttert hatte. In der Ferne ragten die Ruinen einer einst prächtigen Stadt empor – eine Stadt, die Lyra gut kannte. Es war der Ort, den sie einst mit einer falschen Entscheidung in den Abgrund gestürzt hatte.
Die Gespenster der Vergangenheit flüsterten in ihren Ohren. „Warum hast du uns verlassen?“ „Du hättest uns retten können!“
Lyra schloss ihre Augen und hielt das goldene Armband fest, das warm und beruhigend gegen ihre Haut pulsierte, als wolle es sie in diesem Moment trösten. Tief atmete sie ein, der heiße Luftzug brachte den bitteren Geschmack der Asche mit sich. „Ich kann die Vergangenheit nicht ändern,“ flüsterte sie, ihre Stimme ein Hauch der Entschlossenheit, „aber ich kann aus meinen Fehlern lernen und für das größere Wohl kämpfen.“
Mit jedem Schritt, den sie setzte, begannen die Schatten um sie zu weichen. Das goldene Armband schimmerte heller, als ob es die letzte Funken Hoffnung der zerstörten Welt in sich trug. Die Ruinen erwachten langsam wieder zum Leben, die Mauern erhoben sich, die Fassaden glühten wie vergessene Erinnerungen. Am Ende ihres Weges stand ein leuchtendes Portal, das sie einlud, in die nächste Phase ihrer Prüfung zu treten.
Solans Prüfung
Der Historiker Solan fand sich in einer gigantischen Bibliothek wieder, deren Regale bis unter die Decke reichten, jeder Platz voll von alten Schriften und unschätzbaren Geheimnissen. Der Staub der Jahrhunderte hing in der Luft, und jede einzelne Rolle schien mit Wissen geladen zu sein, das das Schicksal der Welt verändern könnte. Auf einem Tisch vor ihm lag eine antike Papyrusrolle, die mit einer glänzenden goldenen Prägung verziert war. Die Inschrift auf der Rolle war in einer Sprache verfasst, die er nicht kannte – doch als er sie betrachtete, verstand er sie, als hätte sie ihm immer schon vertraut.
„Die Geheimnisse der Welt liegen vor dir,“ flüsterte eine Stimme, die von überall und nirgendwo zu kommen schien. „Ein einziges Wort von dir, und du wirst Wissen erlangen, das Königreiche erzittern lässt.“
Solan streckte seine Hand nach der Papyrusrolle aus, doch dann blieb er abrupt stehen. Ein Gefühl der Vorsicht ergriff ihn. „Zu welchem Preis?“ fragte er leise, während die Symbole auf Lyras Armband wie ein warnendes Leuchten in seinen Gedanken aufblitzten.
Er zog die Hand zurück und schüttelte den Kopf. „Es gibt Geheimnisse, die besser verborgen bleiben sollten. Das Wohl vieler wiegt schwerer als meine Neugier.“
In dem Moment begannen die Regale zu verblassen, und die riesige Bibliothek löste sich in einen hellen Raum auf. Die Papyrusrolle verschwand, und an ihrer Stelle erschien ein Pfad, der ihn zurück zu den anderen führte.
Kais Prüfung
Kai fand sich auf einem chaotischen Schlachtfeld wieder. Der Geruch von verbranntem Holz und Blut hing in der dicken Luft, während die Schreie der Gefallenen wie unaufhörliche Hallen in seinen Ohren widerhallten. Vor ihm stand eine riesige Gestalt aus Schatten, eine Kreatur, die seine schlimmsten Ängste verkörperte. Die Visionen von Niederlagen, Verlusten und enttäuschten Hoffnungen prasselten auf ihn nieder, jede Erinnerung verstärkter und schmerzhafter als die letzte. Er fühlte sich erschöpft, als wäre er vom Gewicht der Welt erdrückt. Ein kurzer Moment der Schwäche ergriff ihn, und er dachte daran, aufzugeben. Doch dann kam ihm Lyra in den Sinn, ihre Entschlossenheit und die Stärke, die sie ausstrahlte. Und Solan, der ruhige, besonnene Denker, der niemals von seiner Bestimmung abwich.
„Ich bin nicht allein,“ sagte er mit fester Stimme, die den ganzen Raum durchdrang. „Wahre Stärke liegt nicht darin, keine Angst zu haben, sondern ihr mit Vertrauen zu begegnen.“
In seiner Vorstellung erschien das goldene Armband, das Lyra trug, ein leuchtendes Zeichen der Hoffnung. Ein Strahl von Licht brach durch die Dunkelheit und die Schattenkreatur zerfiel in tausend Splitter. Als der Dämmerhimmel sich zu lichten begann, fand sich Kai in einem friedlichen Tal wieder, umgeben von saftigem Grün und einem sanften Fluss, der das Licht des nahen Sonnenuntergangs widerspiegelte. Vor ihm erstreckte sich ein leuchtender Pfad, der zurück zu den anderen führte.
Als die drei zurück in den ursprünglichen Raum traten, wartete Amathéa bereits auf sie. Ihr Gesicht war undurchdringlich, doch ein leichtes Nicken verriet ihre Anerkennung.
„Ihr habt Mut und Weisheit bewiesen,“ sagte sie, ihre Stimme ruhig und kraftvoll, während sie die Hand hob. Aus dem Nichts materialisierte sich ein schimmerndes Fragment der Chronoskala, perfekt rund und von unendlicher Tiefe.
„Nehmt das Fragment der Chronoskala – und geht,“ sagte Amathéa, ihre Worte wie ein Auftrag, der in die Ewigkeit hallte.
Lyra spürte, wie das goldene Armband an ihrem Handgelenk pulsierte, als würde es die Macht des Fragments spüren. Sie ergriff das Fragment und spürte eine Verbindung zwischen dem Armband und dem Fragment der Chronoskala, als ob beide miteinander verschmolzen. Das Licht der Symbole auf dem Armband wurde heller, intensiver. Sie wusste, dass ihre Reise noch lange nicht zu Ende war.
Mit einer Verbeugung wandten sich Lyra, Kai und Solan dem Ausgang zu. Das goldene Armband schimmerte in einem sanften Licht, bereit für die nächste Herausforderung, die das Schicksal für sie bereithielt.
Neue Offenbarungen
Plötzlich erschien Thorin erneut, ein unerschütterliches Lächeln auf seinen Lippen. „Ihr habt einen bedeutenden Schritt gemacht. Doch euer Weg ist noch lange nicht zu Ende.“
„Wohin führt uns der nächste Schritt?“ fragte Kai, dessen Körper die Strapazen der letzten Prüfungen noch immer spürte.
Thorin schmunzelte und deutete mit einer Geste in die Ferne. „Zu den Mauern von Troja und zu einem Mann, der in den Legenden als Priamos der Weise bekannt ist.“
Die Zeit begann sich wieder zu wölben, und die Gruppe verschwand, bereit, die nächste Etappe ihres Abenteuers zu erleben, auf der Suche nach Wissen, das die Welt für immer verändern würde.