Kapitel 7: Die zweite Prüfung: Der Koloss von Rhodos
Die ehrwürdige Halle von Atlantis, deren Wände mit goldenen Inschriften und leuchtenden Runen bedeckt waren, hallte wider von Thorins Worten, als die Gruppe sich um ihn versammelte. Das goldene Armband an Lyras Handgelenk glomm in einem sanften, rhythmischen Licht, als ob es sie mit einer unsichtbaren Hand führte, ruhig, aber entschlossen, den nächsten Schritt zu machen.
„Noch mehr Prüfungen“, murmelte Kai und fuhr sich nachdenklich durch das Haar. „Natürlich. Es wäre zu einfach gewesen, wenn uns das Omnifaktum gleich die Antworten geliefert hätte.“
„Ein Artefakt von solcher Macht darf nie leicht zu erlangen sein“, erwiderte Solan, seine Stimme ernst und nachdenklich. „Es ist unsere Aufgabe, das Mysterium der Geschichte zu entschlüsseln und uns als würdig zu erweisen.“
Lyras Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, ihre Gedanken schwirrten. Schließlich richtete sie sich auf und wandte sich an Thorin. „Wohin führt uns die nächste Prüfung?“
Thorin trat einen Schritt näher, und der schwarze Mantel, der ihn umhüllte, schien wie von unsichtbarem Wind bewegt. Seine Augen, tief und weit wie der Ozean, verloren sich für einen Moment in der Ferne. „Ihr habt bereits die Verbindung der Vergangenheit erkannt“, sagte er, seine Stimme hallte in der Stille, tief und voll von Bedeutung. „Nun müsst ihr die Flamme der Inspiration finden, die die Welt entfachte.“
Bevor jemand nach einer Erklärung fragen konnte, hob Thorin die Hand. Die Luft begann zu flimmern, und Raum und Zeit verzerrten sich in einer überwältigenden Welle. Als der Nebel sich schließlich lichtete, fanden sich die Gefährten an einem völlig neuen Ort wieder.
Vor ihnen lag das weite, silberne Meer, dessen Wellen sich sanft unter der strahlenden Sonne kräuselten. In der Ferne, wie ein monumentales Wahrzeichen der antiken Welt, erhob sich der Koloss von Rhodos, der sich stolz über den Hafen erhob. Die gigantische Bronzestatue, ein Symbol für Freiheit und Triumph, schien wie ein unerschütterliches Monument der Vergangenheit, das die Jahrhunderte überdauert hatte.
Die Kleidung der Gruppe hatte sich in einem kaum merklichen Moment verändert, als ob die Zeit selbst sie in diese Ära gekleidet hätte. Lyra trug ein schlichtes, aber elegantes Gewand, das aus feinstem Leinen gefertigt war, das in kunstvollen griechischen Mustern geschmückt war. Es fiel sanft über ihre Schultern und schwang im Wind, als sie sich bewegte. An Solans Seite hing eine antike Schriftrolle, die ihm die Aura eines Philosophen verlieh. Seine Robe war in klassischen Tönen gehalten, eine schlichte, dunkle Tunika mit weiten Ärmeln, die im Einklang mit der griechischen Philosophie stand. Kai hingegen trug die einfache, aber funktionelle Ausrüstung eines Kriegers – ein eng anliegendes Leinenhemd und einen robusten Gürtel, an dem ein scharfes Kurzschwert hing, bereit für den Einsatz.
Das goldene Armband an Lyras Handgelenk funkelte im Sonnenlicht und pulsierte weiter, als ob es sie leiten wollte.
„Der Koloss“, flüsterte Lyra ehrfürchtig. Ihre Worte verloren sich fast im Wind. „Eines der größten Wunder der antiken Welt.“
„Aber auch ein Mahnmal des menschlichen Stolzes“, fügte Solan hinzu, seine Augen prüfend auf die monumentale Statue gerichtet. „Ein Symbol des Sieges – und der Verluste.“
Thorin trat erneut zu ihnen, seine Kleidung, die nun der Umgebung angepasst war, gab ihm eine fast unsichtbare Präsenz. „Eure Aufgabe“, sagte er, „ist es, die wahre Bedeutung des Kolosses zu begreifen. Ihr müsst verstehen, warum er zu einem Symbol wurde – und welche Kräfte ihn schließlich zu Fall brachten.“
Die Straßen von Rhodos, so lebendig und geschäftig, breiteten sich vor ihnen aus. Händler boten lautstark ihre Waren an, und der Duft von exotischen Gewürzen und frisch gebackenem Brot lag in der Luft. Kinder spielten auf den gepflasterten Wegen, und überall verzierten kunstvolle Statuen und Wandmalereien die Gebäude. Doch all dem zum Trotz erhob sich der Koloss stolz und unveränderlich am Horizont, sein Gesicht von der Sonne in goldene Strahlen getaucht.
Die verborgene Kammer
Am Fuße des Kolosses bemerkte Lyra ein seltsames, fast unsichtbares Leuchten. Ihr Armband reagierte sofort darauf, pulsierte stärker und veränderte sich im Rhythmus des Lichts. „Hier ist etwas“, flüsterte sie, ihre Stimme voller Entschlossenheit und Neugier.
Solan trat näher und betrachtete den Bereich. Mit einem Scharfsinn, der die Jahre der Ausbildung widerspiegelte, deutete er auf feine Einkerbungen im Stein. „Das könnte ein geheimer Zugang sein. Wenn die Geschichten wahr sind, verbirgt sich hier vielleicht ein Fragment der Wahrheit.“
Gemeinsam entdeckten sie eine verborgene Tür, und mit vereinten Kräften öffneten sie sie. Dahinter führte ein schmaler Gang, dessen Wände mit leuchtenden Schriftzeichen bedeckt waren, die in einem Rhythmus pulsieren schienen. Solan beugte sich vor und begann, die Inschriften zu entziffern.
„Dies sind die Worte von Chares von Lindos“, murmelte er ehrfürchtig. „Der Architekt spricht von einer göttlichen Flamme, die ihn bei der Schöpfung des Kolosses inspirierte. Aber er warnt auch vor der Gefahr, die diese Flamme mit sich bringen kann.“
Begegnung mit Chares
Am Ende des Ganges stießen sie auf eine holographische Projektion von Chares, der mit einem ernsten, aber leidenschaftlichen Blick auf sie herabblickte. „Die Flamme der Inspiration“, begann er, „war mehr als ein göttliches Geschenk. Sie war die Hoffnung der Menschen, vereint zu werden. Aber sie birgt auch die Macht der Zerstörung, wenn sie fehlgeleitet wird.“
Die Projektion zeigte die Entstehung des Kolosses, von der ersten Skizze bis zum letzten Hammerschlag, und endete mit der Tragödie seines Sturzes durch ein Erdbeben. Die Bilder waren so lebendig, dass Lyra beinahe den Boden unter ihren Füßen erbeben spürte.
„Die wahre Lehre des Kolosses“, sagte Solan nachdenklich, „ist, dass wahre Größe nicht im Stolz liegt, sondern in der Fähigkeit, nach einer Niederlage wieder aufzustehen.“
Als sie die Kammer verließen, leuchtete das goldene Armband heller als je zuvor. Lyra fühlte eine tiefe Verbundenheit zu den Entdeckungen, die sie gemacht hatten, als ob sie ein weiteres Stück der Wahrheit erlangt hätten.
Rückkehr nach Atlantis
Ein weiteres Mal verschwamm die Welt um sie herum, und die Gruppe fand sich in der gewohnten Halle von Atlantis wieder. Thorin stand da, wie ein stiller Wächter, und nickte ihnen zustimmend zu. „Ihr habt die zweite Prüfung bestanden“, sagte er, seine Stimme fest und unmissverständlich. „Doch eure Reise hat erst begonnen.“
Lyra sah ihn entschlossen an. „Was erwartet uns als Nächstes?“
Thorin lächelte schwach, sein Blick tief und geheimnisvoll. „Das nächste Ziel führt euch an einen Ort, der jenseits der bekannten Geschichte liegt – ins verlorene Reich von Mu. Bereitet euch vor, denn die Wahrheiten, die dort auf euch warten, werden eure Vorstellung von Zeit und Raum für immer verändern.“